Ich gehöre grundsätzlich zu den Menschen, die zu viel denken. Weil ich das weiß, versuche ich den eigenen, inneren Bedenkenträger regelmäßig zu überlisten und einfach zu machen. Von außen mag es dann so aussehen als würde ich ständig ohne sonderliche Vorbereitung und großes Training völlig naiv in ein Abenteuer starten. Innerlich zerreißen mich aber jedes Mal die Selbstzweifel, völlig egal was ich zuvor schon geschafft habe, stellt sich mir immer und immer wieder die Frage: Schaff ich das???
Mit den Rennrad von München nach Bozen
So war es auch vor der dreitägigen Rennradtour von München nach Bozen, die ich mit einer Freundin schon letztes Jahr geplant hatte. Sie hatte die Idee und für sie war es auch ein größeres Ding, denn sie wollte die Runde schon fahren, seit sie ein Kind war und hat mittlerweile selbst eines, was ihr nicht unbedingt mehr Zeit fürs Training ließ als mir. Im letzten Jahr hat uns erst das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht und später die schwierige Terminkoordinierung zwischen berufstätiger Mutter und spaßorientierter Freizeitpiratin mit Freiberuflerleben. Also wollten wir es dieses Jahr nochmal angreifen und zwar so bald es ging, um es ja nicht wieder um ein Jahr verschieben zu müssen.
Die Vorbereitung – Trainingstour nach Eichstätt
Wir fassten ein paar Wochenenden im Mai ins Auge, hatten aber so früh in der Saison noch nichts in den Beinen, das über die Münchner Feierabendklassiker an den Starnberger See oder nach Mariabrunn hinausging. Also starteten wir einen Trainingsausflug und Testlauf nach Eichstätt: Zwei Tage auf dem Bike, jeden Tag 115 Kilometer und um die 700 Höhenmeter. Wir wollten wissen, wie sich unsere Beine, unser Hintern, unser Nacken nach zwei Tagen auf dem Fahrrad mit einer Kilometerlänge, die wir normalerweise nicht fahren, anfühlen, ausprobieren, ob wir Werkzeug, Wechseltrikots und Zahnbürste gut in unseren zusammen geliehenen Bikepacking Taschen unterbringen konnten und testen, ob wir das Mysterium GPS-Gerät beherrschen.
Der Pass öffnet – wir fahren!
Der GPS Transfer der Route hat natürlich nicht geklappt, die letzten hügeligen Anstiege nach Eichstätt waren hart, mir schmerzten Knie und Rücken, Bikepacking Taschen sind nicht so richtig für kleine Frauenräder konzipiert und trotzdem hör ich mich abends im Pub in Eichstätt sagen: „Also, wenn sie den Pass aufmachen, dann fahren wir nächstes Wochenende!“ Wir hatten zwar die Rückfahrt noch nicht einmal hinter uns gebracht, aber uns schon vor einer Weile das mittlere Wochenende der Pfingstferien in unseren Kalendern angestrichen: Andreas Tochter war nicht da und wir hatten auch Montag und Dienstag noch frei. Wer weiß, wann das nächste Mal so eine Situation kommt.
Die Woche über checken wir also regelmäßig gespannt die Facebookseite vom Timmelsjoch und tatsächlich öffnet es am Donnerstag vor dem geplanten Wochenende. Das Wetter scheint bis auf die üblichen Wärmegewitter ebenfalls zu halten, und damit ist klar, dass wir fahren MÜSSEN. Die Angst vor der eigenen Courage können wir mit Aktionismus überspielen: die Einstellung von Sattel und Vorbau noch einmal checken, Riegel und Isodrinks kaufen und überlegen, was man jetzt wirklich mitnimmt und wie in welche Tasche packt. Am Samstag um neun Uhr treffen wir uns am Säbener Platz in München und starten.
Etappe 1: München – Leutasch
Wir entschlossen uns für die Route über Bad Tölz und Lenggries in die Jachenau und über den Walchensee nach Wallgau, dann weiter nach Leutasch in Österreich, weil wir davon ausgingen, dort weniger Verkehr anzutreffen als auf der Variante über den Starnberger See und den Kesselberg am Walchensee. Und auch wenn wir nicht ganz so allein sind, wie auf unserer Trainingstour von München nach Eichstätt, hält sich der Verkehr tatsächlich in Grenzen. Wir machen Rast in der Jachenau und nehmen einen kurzen Umweg über den Barmsee für eine Badepause gerne in Kauf. Dann geht es den letzten Anstieg hinauf nach Leutasch. Andrea hat merklich von unserer Trainingsrunde nach Eichstätt profitiert, auch mir geht es konditionell gut, aber mein rechtes Knie schmerzt nach den 122 Kilometern und 1100 Höhenmetern doch ungewöhnlich arg. Also google ich nochmal die richtige Einstellung und Tritttechnik, nur um festzustellen, dass ich eigentlich alles richtig mache, bevor uns Freunde aus Mittenwald abholen und mit uns in den Naturwirt in Leutasch zum Abendessen gehen. Kulinarisch bleibt das der beste Teil unseres Trips.
Etappe 2: Leutasch – Sölden
Am nächsten Tag geht es erst ein paar Höhenmeter nach oben, um dann die komplette Abfahrt nach Telfs ins Inntal zu nehmen. Von dort immer am Inn entlang, bis zum Eingang des Ötztals und hinauf nach Sölden. An diesem Tag stellen wir beide fest, dass unsere Mägen für Powerriegel und Elektrolytlösung auf Dauer nicht ausgelegt sind und wir besser bei Wurst- und Käsesemmel bleiben. Nach 70 Kilometern und 950 Höhenmetern haben wir in Sölden in Punkto Essen ohnehin keine Auswahl, da aufgrund der Vorsaison nur die Dönerbude geöffnet hat. Ihren Zweck erfüllt die Convience-Pizza dennoch und wir liegen schon recht früh im Bett, um uns für den großen Tag auszuruhen.
Etappe 3: Sölden – Bozen
Der große Tag. Heute soll es also übers Timmelsjoch vom Ötztal über Österreichs höchstgelegenen Grenzübergang nach Italien ins Passeiertal gehen. Auf der ersten Rampe von Sölden (1.377) nach Zwieselstein bläst uns gleich ein ordentlicher Wind entgegen – aus dem Internet wissen wir, dass das auf der Strecke wohl häufiger ein Problem ist. Weiter geht es Richtung Obergurgl und Hochgurgl, bis wir dann, viel schneller als gedacht, an der Mautstation auf ungefähr 2.150 Metern ankommen.
Nach einer Schorle gehts erstmal ein paar sehr kalte und windige Meter hinab. Noch nicht in der Ebene angekommen, muss ich schon ganz runter schalten, um überhaupt irgendwie gegen den Wind anzukommen. Wir schrauben uns langsam nach oben, es ist Montag und der Verkehr hält sich in Grenzen. Alle, die uns begegnen, freuen sich über die doch noch etwas seltenere Spezies „Frau auf Rennrad“ und motivieren uns den Pass hinauf. Oben angekommen, sind wir natürlich glücklich, aber auch fast ein bisschen enttäuscht: Wie, das wars jetzt schon? Das war ja alles halb so schlimm! Wir packen uns warm ein und fahren den Passo del Romeo auf der italienischen Seite hinunter, wo uns einige Rennradler entgegen kommen, die sich die 1.800 Höhenmeter der schwereren Seite hinauf quälen. Eigentlich wollen wir uns belohnen und in St. Martin im Gasthaus Lamm bei Familie Fontana einkehren. Die Chefin des Hauses Hildegard wurde als erste Köchin im Passeiertal mit einer Haube und gleich 13 Punkten im Gault Millau aufgenommen. Doch leider hat das Gasthaus am Montag Ruhetag, also gibts mal wieder Pizza. Später gehts weiter Richtung Meran und von dort auf einem perfekt ausgebauten Fahrradweg nach Bozen, wo wir gut nebeneinander fahren können und bis zur Ankunft an unserem Ziel noch eine Stunde Zeit haben über die Frage zu philosophieren: Und, was machen wir als nächstes?!
Etappe 1
Wer es sich von Anfang an zutraut, kann von München direkt bis nach Telfs fahren und damit die Strecke an Tag 2 verkürzen. Auch wir hätten das noch geschafft, hatten aber schon die Übernachtung in Leutasch gebucht.
Etappe 2
Auch die kürzeste Etappe kann man über Sölden hinaus noch um ein paar Höhenmeter verlängern, bis nach Zwieselstein zum Beispiel.
Etappe 3
Für die Etappe übers Timmelsjoch wählt man idealerweise einen Wochentag, da dann nicht so viele Motorräder und Autos zu erwarten sind. Die Timmelsjoch Hochalpenstraße hat in der Regel von Mai bis Ende Oktober von 7 bis 20 Uhr geöffnet.
Die GPS-Tracks zur kompletten Tour findet ihr bei Kaddi auf Komoot.
Rückreise
Ab Bozen fährt der Flixbus und nimmt einen und das Fahrrad für circa 25 Euro mit. Achtung: Wenn man ein Fahrrad dabei hat, sollte man früh buchen!