Wer sich mit Skifotografie auseinandersetzt, dem ist der Wettbewerb „King of Dolomites“ ein Begriff. Jedes Jahr lockt er Fotografen und Skifahrer nach San Martino di Castrozza in den italienischen Dolomiten. Und wer diesen Winter ab und an auf eine Wetterkarte geschaut hat, der weiß, dass dort in diesem Jahr gar nicht mal so viel Schnee lag.
Fotograf Julian Rohn, Telemarker Andreas Gehring und ich sind bei besten Schneebedingungen in Tirol trotzdem ins südlichste Eck der Dolomiten gefahren, denn wer von Arc’teryx zum „King of Dolomites“ eingeladen ist, der sagt nicht ab – nicht mal für einen perfekten Powdertag.
King of Dolomites – die Regeln
Die Regeln des Wettbewerbs sind einfach: Teams, die aus je zwei Fahrern und einem Fotografen bestehen, haben zwei Tage Zeit im Gebiet um San Martino di Castrozza Fotos für vier Kategorien zu schießen: Alpinism, Landscape, Action und zu einem jährlich wechselnden Motto. In diesem Jahr lautete das: „Let there be light“. Und auch wenn der Name „King of Dolomites“ von einem männlichen Throninhaber ausgeht und ich hier der Einfachheit halber konsequent in der männlichen Form schreibe, Frauen dürfen natürlich auch mitmachen, auch wenn sie (noch) in der Unterzahl sind.
Weil Julian, Andreas und ich im Gegensatz zu anderen Teams, die häufig Locals oder Wiederholungs-Königsanwärter sind, so gar keine Ahnung von dem Gebiet hatten, sind wir schon am Donnerstag früh angereist. Kleiner Kultur-Tipp am Rande: Wer bei so einer langen Fahrt in den südlichsten Dolomitenzipfel oder anderen Italientrips nicht so recht in Stimmung kommen mag, dem seien Roberto Bianco & die Abbrunzati Boys empfohlen: Ihre Lieder über die rote Liebe, den Abschied, der immer Saison hat und darin enthaltene Ciao Bella-Mortadella Reime sind in jedem Fall lustiger als Eros Ramazzotti.
Nach unserer Ankunft und der obligatorischen Pizza im Anschluss, fahren wir mit der Gondelbahn Colverde und der Seilbahn Rosetta auf die Hochebene der Pale di San Martino, um das Gebiet zu besichtigen. Und natürlich machen die Dolomiten auch bei wenig Schnee richtig viel her: eine Rinne hübscher, steiler und schmäler als die andere. Wie schön dieser riesige Spielplatz hier wohl erst wäre, mit ein bisschen mehr… Aber es hilft ja nichts, wir begreifen die Bedingungen als Herausforderung: Bei Powder gute Fotos schießen, das kann ja schließlich jeder!
Das geheimnisvolle Biwak
Bei unserer Beratschlagung auf dem Gipfel der Rosetta direkt hinter und gut 100 Höhenmeter über der Bergstation der Gondel, fassen wir recht schnell den Plan, lieber keine großen Expeditionen mit ungewissem Ausgang zu starten. Wir planen mehrere kürzere Aufstiege, um genug Zeit zum Fotografieren zu haben. Das orange leuchtende Biwak, das wir aus der Ferne am Cimon della Pala erspähen, lässt uns trotzdem den restlichen Abend nicht mehr los.
Google spuckt zum Bivacco Fiamme Gialle (dt. gelbe Flammen) auf 3.005 Höhenmetern aber nur Bilder aus, die im Sommer aufgenommen wurden und wir finden auch keine Tourenbeschreibung für den Winter. Mal ganz davon abgesehen, dass wir bis auf einen Schlafsack, den Julian zufällig im Bus hat, nichts zum Biwakieren dabei haben.
Aber: No risk, no fun. Oder: kein Biwak, keine Fotos mit hübschem Sonnenauf- und -untergang. Wir stopfen also alles, was uns für eine eventuelle Nacht im Biwak einigermaßen sinnvoll erscheint, in unsere Rucksäcke. Weil wir uns mit dem Weg nicht ganz sicher sind, canceln wir unseren Vormittagsplan und den Aufstieg mit Blick auf Cima della Madonna und Sass Maor und machen uns direkt durchs Valle dei cantoni auf Richtung Biwak. Es geht zu wie am Stachus, ständig fahren oder laufen uns verdächtige Dreier-Teams über den Weg und wir müssen uns unter anderem fragen, ob es moralisch ok ist, in eine Rinne einzusteigen, in der schon ein anderes Team hinauf stapft. Da wir ERST die Rinne und DANN das ITALIENISCHE Team IN DER RINNE entdeckt haben, lautet unsere Antwort: Ja, ist ok.
Es wird immer später, immer einsamer und wir nähern uns fotografierender Weise langsam der Stelle, an der wir das Biwak vermuten. Bald sagt uns die Karte, dass der Sommerweg abzweigt, doch ein problemloses Durchkommen scheint uns dort unmöglich. Also gehen wir weiter hinauf bis zur Scharte, in der Hoffnung, dass wir hier einfacher zum Biwak gelangen. Oben angekommen vergewissern wir uns mit der Drohne, dass die orange-rote Hütte wirklich oberhalb des kurzen, steilen Hanges steht, wo wir sie vermuten. Uns wird klar, warum kaum Winterbilder des Biwaks online sind: Der steile Hang bei etwas mehr Schnee ist sicherlich kein empfehlenswerter Aufstieg.
Biwakieren oder Abfahren?
Auch wir müssen uns jetzt entscheiden: Hochgehen und dort oben circa zwölf Stunden Dunkelheit und schlimmer Kälte überstehen oder besser abfahren? Wir wissen weder in welchem Zustand das Biwak ist, noch ob es dort oben Decken gibt oder wir uns zu dritt Julians Schlafsack teilen müssen. Hochgehen und nachsehen, um dann hinunterzufahren und im warmen Bett zu schlafen, das ginge sich zeitlich in keinem Fall mehr vor Einbruch der Dunkelheit aus. Danach wollen wir aber nur ungern in dem anspruchsvollen Gelände unterwegs sein, da sind wir uns einig.
Ich sorge mich wegen des noch zu überwindenden, scheinbar vereisten Steilhangs, Andreas denkt über die zu erwartende Kälte nach und Julian will sich das Abend- und Morgenlicht dort oben in keinem Fall entgehen lassen. Wir entscheiden uns gemeinschaftlich für die Abenteuer-Variante Biwak. Kaum haben wir uns den Steilhang zur Hälfte mit Steigeisen und Eispickel hochgearbeitet, taucht das Team von Max Kroneck, mit Joi Hoffmann, Paolo Marazzi und Fotograf Paolo Sartori direkt hinter uns auf. Natürlich ohne Pickel, ohne Steigeisen, mit den Ski auf der Schulter und doppelt so schnell. Immer diese Berufsskifahrer, denk ich.
Es ist also kuschelig im Biwak. Kaum waren wir oben angekommen, steuerten noch zwei Italiener aus Richtung des Klettersteigs auf das Biwak zu. Neun Schlafplätze, neun Menschen, dabei bleibt es zum Glück auch. Das Team Berufsskifahrer ist deutlich besser aufs Biwakieren vorbereitet als wir. Freundlicherweise teilen sie ihr Essen mit uns. Auf dem Speiseplan: improvisierte Tütensuppe mit Couscous und Käse à la Paolo und zum Nachtisch Schokolade. Nach einem Riegel-Tag definitiv das Beste was man essen kann.
Die vielleicht unruhigste Nacht meines Lebens
Die Schnarcher wechseln sich brav ab ohne dabei auch nur die winzigste Ruhepause zu lassen und die Metallwand des Biwaks verbiegt sich im starken Wind wie eine Coladose: Dung Dong Ccccchhhhpfffffz Dung Dong Ccccchhhhpfffffz Dung Dong. Ich denke darüber nach, mich aus dem Schlafsack im obersten Stockbett herauszuoperieren, um nachzusehen, ob meine Ski und Stöcke wohl schon weggeflogen sind. Beschließe aber besser liegen zu bleiben, weil ich dann ja eh nichts mehr machen kann. Ich widme meine Gedanken also der Frage, wie ich die steilen, eisigen Hänge bloß ohne Ski herunterkommen soll. Das Motto des Wettbewerbs wird zu meinem Mantra: Let there be light, denke ich und hoffe auf den nächsten Morgen.
Irgendwann ist kurz vor Sonnenaufgang und damit Fotografierzeit: Die Ski sind noch da, nur Andreas’ Eispickel kam auf sehr mysteriöse Weise abhanden. Julian macht noch ein paar Fotos, wir staunen nicht schlecht über die Kunststücke, die Team Berufsskifahrer am Gegenhang aufführt und fahren mit ein paar Fotostopps unterwegs über die vereisten Hänge wieder ab.
Nach der mehr als verdienten Pizza steht dann noch die Fotoauswahl an. Welche Bilder gefallen uns am besten, welche reichen wir ein für die verschiedenen Kategorien Alpinism, Landscape, Action und let there be light? Als Team entscheiden wir uns für diese:
Auf der Heimfahrt gibt es wieder Roberto Bianco & die Abbrunzati Boys und dazu ein bisschen Wehmut: Was für ein Wochenende. Was für ein Team. Was für ein Gebiet. Ein schier unendliches und unendlich vielseitiges Gelände. Ich komme auf jeden Fall wieder. Und dann pack ich gleich meinen Gaskocher mit ein.
Übrigens: Gewonnen haben wir mit unseren Fotos in keiner Kategorie, aber Insider behaupten, wir wären sehr nah dran gewesen. :)