„Tut mir leid mein Herr, sie können nicht mitfliegen“, sagt der Typ am Check-In Schalter des Münchner Flughafens zu mir. Moritz, Karen und ich schauen ihn mit großen Augen an, als er uns erklärt, dass ich mit einem nur noch vier Monate gültigen Reisepass nicht nach Afrika reisen darf. „Afrika?“ Wir dachten, wir fliegen auf eine portugiesische Insel, das ist doch Europa?“ Pustekuchen, die Kapverdischen Inseln sind mit ihren neun bewohnten Inseln und ungefähr 17 kleinen Eilanden seit 1975 eine eigene Republik außerhalb der Europäischen Union mitten im Atlantik gelegen - ziemlich nahe an Afrika. Meine beiden Reisebegleiter heben also erstmal ohne mich am Münchner Flughafen ab, ich bleibe zurück im kalten Grau des Februars und kümmere mich um meine Dokumente.
Mitten in der Nacht lande auch ich am nächsten Tag mit einem express-verlängerten Reisepass in Praia, der Hauptstadt des Archipels auf der Insel Santiago. Die einstündige, kurvenreiche Fahrt nach Taraffal an der Nordküste der Insel lässt ein spannendes Mountainbike Revier erahnen. Fast 1.400 Meter sei er hoch, der Pico da Antónia und es gebe von dort oben Wege in alle Himmelsrichtungen, erklärt mir mein Taxifahrer in relativ gutem Englisch. Er sei zwar selbst kein Mountainbiker, aber die wenigen bikenden Touristen, die er bisher zurück zum Flughafen shutteln durfte, seien bisher alle ganz begeistert gewesen.
Cabo Verde ist nicht gerade der Hotspot für Mountainbikerinnen und Mountainbiker, man kennt die Inselgruppe eher als Windsurf- und Kite-Hochburg. Die südlich gelegenen Inseln - zu denen auch Santiago gehört - sind geologisch etwas begünstigt, denn der Vulkan hat hier mehr Material Richtung Himmel geschoben. Das gebirgige Zentrum der Insel ist regenreich und macht Santiago zur landwirtschaftlich produktivsten Insel, während die niedrigen Küstenregionen wüstenartig trocken sind.
Unser erster Tag beginnt mit einer Shuttle Fahrt auf den höchsten Pass der Insel. Aber Shuttle fahren in Cabo Verde ist nicht wie Shuttle fahren in Finale Ligure. Laute Reggae Music dröhnt aus den Boxen, während wir unsere Bikes auf die Ladefläche des Pick Ups schieben. Die Holzbank daneben ist unser Platz. „Hier passen alle rein“, kichert Karen, denn sie und Moritz kennen das Prozedere schon, schließlich haben sie schon einen Tag mehr auf der Insel verbracht. Die Anzahl der Bikes und der Passagiere ist nicht begrenzt. Hinten auf dem Trittbrett werden auch gerne mal ein paar Schüler auf dem Weg von der Schule nach Hause mitgenommen. Oben angekommen, gibt es ein High Five und wir besprechen, wo uns der Shuttlefahrer wieder aufsammelt.
Wir sind in der „Serra de Malagueta“, dem Nationalpark der Insel. Von hier starten einige Touren. Bruno und Adelson sind unsere Guides. Bruno ist Schweizer und Chef der Bike Station in Taraffal. Adelson ist Rasta und Local. Er hat erst vor zwei Jahren mit dem Biken begonnen und fährt richtig gut. Er spricht kein Englisch, aber die Landesprache Creol.
Der erste Teil der Tour geht bergauf einer Schotterstraße folgend. Die Aussicht zu beiden Seiten ist überwältigend: eine Hügellandschaft mit markanten Einschnitten und Canyons bis hinunter zum Ozean. Hier oben ist die Vegetation dicht und erinnert an einen Dschungel, weiter unten wird es karger und vulkanischer.
Wir wechseln in den Abfahrtsmodus und es geht hinein in einen frisch freigeschnittenen Trail. Adelson und seine Jungs waren vor ein paar Wochen in den Bergen unterwegs, um mit Machete und Säge die Trails von ihrem Winterpelz zu befreien. Deshalb macht die Abfahrt extrem viel Spaß. Ein paar Spitzkehren halten unsere Geschwindigkeit unter Kontrolle, doch dann heißt es Bremsen auf. Der Trail schlängelt sich entlang des Bergrückens und bietet jede Menge Flow kombiniert mit ein paar technischen Passagen.
Wir passieren ein paar verfallen aussehende Hütten und stellen fest, dass hier Menschen leben. Sie bewirtschaften einige Quadratmeter Land und können sich so zum größten Teil selbst versorgen. Es wird immer das Gleiche angepflanzt: Mais, Bohnen und Kürbis, die drei leben in Symbiose miteinander, brauchen kaum Pflege und wenig Wasser. Praktisch.
An einer der Hütten biegen wir nach links ab in einen kleinen Trail. Hier wird es technischer, Steinpassagen blockieren den Weg und ein paar enge Kurven gilt es zu meistern. Unten spuckt uns der Weg auf eine schmale Schotterstraße, die uns bis ins Dorf der „Rabelados“ bringt. „Rabelados“ heißt auf Creol so viel wie Rebellen. Die Einwohner hier haben jahrelang autark gelebt und sich nicht der portugiesischen Kolonialmacht und der katholischen Kirche unterworfen. Noch heute leben sie in einer Dorfgemeinschaft mit Tieren und Landwirtschaft und sind unabhängig von der Gesellschaft. Sie waren und sind Rebellen.
Zurück am Hotel checken wir den Surfspot nebenan. Paxiola, einer von Adelsons Guide Kollegen, lebt hier mit fünf anderen Jugendlichen in einer Strohhütte. Er hat uns heute eingeladen, dieses Sozialprojekt anzuschauen: die Surf Cabahna. Paxiola selbst hat keine Eltern und ist hier aufgenommen worden. Jeden Tag übernimmt jemand anderes den Küchendienst. Die Bewohner stellen Schmuck aus Strandgut her und bessern so die Gemeinschaftskasse auf. Ansonsten gehen sie surfen oder eben biken. Abends stehen entspannte Lagerfeuer beim Sonnenuntergang auf dem Programm.
Heute ist unser Adventure Day. Der Kingfisher Trail ist eine echte Abenteuerreise, hoch mit dem Shuttle, quer über die Insel mit dem Bike und zurück mit dem Boot. Durch steppenartige Landschaft geht es flach dahin, es folgen einige schnelle Passagen ohne große technische Schwierigkeiten, bis der Trail in einen Canyon hinunter führt. Adelson warnt und sagt „care“, meint aber „be careful“ als wir in die lose Steinwüste holpern. Ein kurzes Stück ist sehr technisch, dann ist ein wenig Zeit zum Durchschnaufen. Adelson erzählt uns von einem Typen, der hier mitten in der Pampa wohnt und Drogen anbaut, als uns plötzlich ein paar Pfauen angreifen wollen. Schnell weg hier. Auf einem abfallenden Grat verläuft der Trail über grobes steiniges Terrain, rechts und links geht es in den Abgrund. Die Sonne grillt uns und die Landschaft wird mit jedem Höhenmeter, den wir verlieren karger und karger. Unser Ziel ist das Meer, genauer gesagt der Strand, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. Außer man hat einen Freund mit Boot. Ich frage Adelson, ob er seinen Freund Nelito mit dem Boot erreichen konnte. „Yeeh“ ist die karge Antwort und wir interpretieren ein klares “Ja” hinein. Beruhigt rollen wir weiter, stehen aber plötzlich an einem Abgrund, kein Trail weit und breit zu entdecken. Adelson zeigt hinunter in die Schlucht und nickt. Ich probiere als erster mein Glück, ein paar Ziegen springen vor mir aus dem Weg, Affen lachen lautstark aus den Bäumen, wir sind mitten im Dschungel. Die Vegetation ist anders, der Fluss lässt den Canyon um uns herum grün leuchten und die Bäume spenden uns aufgeheizten Bikern kühlenden Schatten. Bald heißt es das Bike schultern. Wir müssen einen Felsabbruch hinabklettern. Geschafft. Nun schlängelt sich der schmale Pfad auf sandigem Boden Richtung Ozean. Und spuckt uns direkt an den Strand, eine traumhafte Sandbucht liegt vor uns. Wir reißen uns die verschwitzten Bikeklamotten vom Leibe und rennen in das kühle Nass.
In diesem Moment tuckert das kunterbunte Fischerboot in die Bucht. Nelito winkt und begrüßt uns freundlich, während er sein Boot im richtigen Winkel zum Strand hält, damit wir aufladen können. Der Seegang hat zugenommen und es ist gar nicht so einfach, die Bikes auf dem Boot zu verzurren. Wir missbrauchen dafür die Rettungswesten. Als alle an Bord sind, verteilt Nelito Angeln und sagt, wir haben eine Stunde Zeit, unser Abendessen zu fangen.
Wild ist kein Ausdruck für das, was sich da vor uns auftut, als wir die geschützte Bucht Richtung offene See verlassen. Karen fürchtet um ihr Leben, das sehe ich ihr an den weit aufgerissenen Augen an und spüre es an dem Griff, mit dem sie sich an mich klammert. Die Wellen sind richtig hoch. Und das Boot richtig klein. Aber der Kapitän scheint alles im Griff zu haben. Als Surfer kennt er jede Bucht und jede Welle mit dem Vornamen. Sicher steuert er das Boot eine Stunde später in die Bucht von Tarrafal. Einen Fisch haben wir nicht gefangen, dazu war die Bootsfahrt zu aufregend. Aber Nelito übergibt uns als Abschiedsgeschenk einen riesigen Fisch, den er in weiser Voraussicht bereits auf der Hinfahrt geangelt hatte. Zum Abendessen gibt es heute wohl Fisch vom Grill!
Das Revier: Die Kapverden liegen im Atlantik, ca. 570 Kilometer vor der Küste des Senegals und 1.700 Kilometer südlich von den spanischen Kanaren. Neun Inseln sind bewohnt. Darunter die größte Insel Santiago mit der Hauptstadt Praia. Etwa so groß wie die Insel La Palma, hat Santiago zwar nicht die höchsten Gipfel des Archipels zu bieten, aber mit der ersten Bikestation in Tarrafal (an der Bucht mit dem schönsten Strand der Insel) die beste Infrastruktur mit Trail-Crew, Guides, Leihbikes und Shuttle. Höchster Punkt: Pico da Antónia (1.392 m). Höchster Gipfel des gesamten Inselstaates: der immer noch aktive Vulkan Pico do Fogo (2.829 m). Eine europäische Infrastruktur wie auf den Kanaren darf man auf den Kapverden nicht erwarten. Hier steckt der Tourismus noch in den Kinderschuhen. Cafés, Restaurants und Bars findet man auf Santiago nur in den Städten.
Beste Reisezeit: Die Kapverden werden auch die Inseln des ewigen Sommers genannt. Durch ihre Nähe zum Äquator gibt es im Sommer wie im Winter kaum Temperaturunterschiede. Am kühlsten ist es im Januar mit durchschnittlich 23 Grad, am wärmsten von August bis Oktober mit 29 Grad. Letzteres ist allerdings auch gleichzeitig die Regenzeit, die mit zwei bis drei Regentagen aber nicht allzu üppig ausfällt. Nur die Luftfeuchtigkeit ist in diesen Monaten ausgesprochen hoch. Am angenehmsten zum Mountainbiken sind die Monate November bis März/April. Dann hat auch das Meer noch Badetemperaturen von 20 Grad. Zeitverschiebung im Winter: zwei Stunden.
Sprache: Bis zu ihrer Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1975 waren die Kapverden eine Kolonie Portugals. Bis heute ist die Amtssprache daher Portugiesisch. Gerade auf dem Land wird aber vor allem Kreolisch gesprochen. Mit Englisch kann man in den wenigen touristischen Spots von Santiago aber Glück haben.
Währung: Den Cabo Verde Escudo zieht man sich am günstigsten am Flughafen vor Ort am Automaten oder am Bankschalter. 110 CVE sind derzeit umgerechnet 1 Euro.
Unterkunft: Die schönste Strandbucht auf Santiago befindet sich bei Tarrafal, im Norden der Insel (Ponta de Atum). Hier wartet auch das Hotel King Fisher Village samt Bikestation und Surfschule. Fahrzeit vom Flughafen Praia an der Südküste: circa eine Stunde. Infos hier.
Anreise: Von Deutschland aus fliegt Air Portugal täglich mit einem Stopp (via Lissabon) auf die Kapverden. Flugdauer insgesamt circa acht bis elf Stunden. In den Wintermonaten bietet Tuifly von einigen deutschen Flughafen auch Direktflüge an. ACHTUNG: Der Reisepass muss bei der Einreise noch sechs Monate gültig sein!
Kapverden-Trip mit Guide:
Holger Meyer ´s Bike Abenteuer als geführte Tour
Termin: 9. - 15.2.2025.