Im Herbst nach Finnisch Lappland zum Mountainbiken? Als diese Einladung in meinem Postfach eingetrudelt ist, musste ich nicht lange nachdenken: In Finnland war ich noch nicht und Finnisch Lappland kannte ich übers Klischeebild von Schlittenhund über Rentiere und Saunas hinaus nicht wirklich.
Das Land der 1.000 Seen
Also rufe ich meinen guten Freund den Fotografen Jens Scheibe an, der das ganze Land schon von Nord nach Süd mit dem Landrover durchquert hat, sofort begeistert ist und was von tollem Licht erzählt. In meinen Koffer packe ich, obwohl erst September ist, lieber die richtig warme Mountainbike Montur. Mein Rad lasse ich zuhause, vor Ort gibt es wohl überall die Möglichkeit, Mountainbikes zu leihen. Wir fliegen in die Hauptstadt Helsinki und von dort am nächsten Morgen noch eine gute Stunde und circa 800 Kilometer weiter in den Norden nach Kuusamo. Der Blick aus dem Fenster der kleinen Maschine beim Landeanflug ist direkt beeindruckend: herbstlich gefärbte Wälder und unendlich viel Wasser, und beides so weit das Auge reicht. Man nennt Finnland das Land der 1.000 Seen, wobei es in Finnland sogar 187.888 Seen gibt.
Weihnachtsdeko und winterliche Temperaturen
Der Flughafen der 15.000 Einwohnerstadt Kuusamo begrüßt uns mit Weihnachtsdeko. In der Mitte des Gepäckbands steht ein beachtliches Rentier mit amtlichen Geweih auf einem weißen Tuch, das wohl Schnee darstellen soll, umreiht von ein paar künstlichen Tannenbäumen und kleinen Wichteln mit spitzigen, roten Mützen und Bärten bis zum Boden. Während ich mich frage, ob diese Deko hier das ganze Jahr steht oder erst im Herbst aufgebaut wird, fährt mein Koffer auch schon am Rentier vorbei. Wir heben unser Foto- und Filmequipment vom Band, verlassen den Flughafen und ich bin angesichts der sechs Grad Außentemperatur froh, die ganz dicke Daunenjacke doch noch eingepackt zu haben, obwohl ich sie fast schon in München lassen wollte. In Kuusamo beträgt die Jahresdurchschnittstemperatur minus 0,3 Grad und es gehört zu den schneereichsten Gegenden Finnlands – in einem guten Monat liegt hier alles unter einem Meter Schnee, der erst im Mai wieder schmilzt.
Der finnische Musikgeschmack und die Supersalami
Richtung Hossa Nationalpark in der Gemeinde Suomussalmi geht es für uns weiter mit dem Leihauto, das uns Anna-Riitta, unser Kontakt vor Ort, direkt mit zwei Mountainbikes im Kofferraum übergibt. Anna-Riitta warnt uns noch vor den Rentieren, oder besser gesagt vor Unfällen mit eben jenen, und prompt stehen gleich nach der ersten Kurve mehrere auf der Straße – so muss das sein, denke ich, drehe das Autoradio auf und sofort werden unsere bei mehreren Eurovision Song Contests angeeigneten Vorurteile über den schlechten finnischen Musikgeschmack bestätigt. Etwa eine Stunde fahren wir parallel zur finnisch-russischen Grenze, übrigens die älteste Staatsgrenze Europas, Richtung Süden, freuen uns nicht nur über die Musik des finnischen Radioprogramms, sondern auch über diese lustige Sprache, bei der wir mit unserer Latein-Französisch-Italienisch-Spanisch-Vorbildung so ÜBERHAUPT keine Chance haben, auch nur zu erahnen, um was es in etwa gehen könnte. Wir benennen sogar die Orte um mit Fantasienamen, die wir uns besser merken können, als die finnischen Originale. Und so wird aus dem Ort und der Gemeinde Suomussalmi, in die wir gerade unterwegs sind, ganz schnell Supersalami.
Natur pur im Hossa Nationalpark
Im Besucherzentrum des jüngsten Nationalparks Finnlands Hossa treffen wir uns mit Tiia, unserer Ansprechpartnerin vor Ort, die mit uns nicht nur Mittagessen wird, sondern hier auch unser Mountainbike-Guide ist. Bären beobachten, Wandern, Angeln, Kanufahren, jahrtausende alte Felsmalereien bewundern, sich mit der Geschichte von Finnlands Unabhängigkeit auseinandersetzen – oder eben Mountainbiken, das sind Gründe, um den 2016 gegründeten Hossa Nationalpark im Sommer zu besuchen. Es gibt vier Kanurouten und zehn Wanderwege mit insgesamt 90 Kilometern Strecke, manche sind auch mit Rollstühlen oder Kinderwagen befahrbar. Mountainbiken ist auf den offiziell dafür ausgewiesenen Trails erlaubt, vier davon gibt es im Hossa Nationalpark, mit einer Länge von zehn bis 50 Kilometern.
Finnische Isartrails
Als erstes nehmen wir uns den 14 Kilometer langen Kokalmuksen Kierros Trail vor. Er ist meistens unschwierig, waldig-wurzelig und schmal – eben das, was man im Mountainbike-Slang gerne als „Naturtrail“ bezeichnet und eben auch das, was ich eigentlich am liebsten mag. Ab und an bietet der Trail kurze Steigungen, gern auch mal etwas steiler und über nasse Wurzeln, das sind die herausfordernden Stellen, aber dafür gehts danach auch wieder lustig-flowig bergab. Auf Strava habe ich die Tour „Finnische Isartrails“ getauft, denn der Kokalmuksen Kierros Trail hat einen den Hometrails der bayerischen Landeshauptstadt durchaus ähnlichen Charakter. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Überlaufen sind diese Trails nicht. Stundenlang treffen wir NIEMANDEN.
Überall im Hossa Nationalpark stehen kleine Holzhütten mit Feuerstellen und Trockentoiletten. Dort darf man sich einfach kostenfrei einquartieren – für einen Nachmittag, eine Pause oder auch über Nacht. Wie bei den Winterräumen auf Alpenvereinshütten gilt: First come, first serve. Das Holz zum Feuermachen ist praktischerweise schon vor Ort. An so einer Hütte mit Ausblick aufs Wasser machen wir Pause. Tiia ist Profi im Holzhacken und Feuermachen und hat Würstchen mitgebracht und heiße Schokolade, die perfekte Ergänzung zu den Heidelbeeren, die wir am Wegesrand gepflückt haben. Und auch wenn die Zusammenstellung des Mittagsmenüs verrückt klingen mag: Solche Bikepausen könnte ich mir häufiger vorstellen, und solche Mountainbike-Ausflüge sowieso.
Huskywelpen auf der Schlittenhunde-Farm
Aber, was ich bei der Pause an der Feuerstelle noch nicht wusste: Das Highlight unseres ersten Tages in Finnisch Lappland wird noch kommen und zwar in Form von Dutzenden süßen Husky Welpen, die wir in der Farm vom Huskytouren-Anbieter Norwide besuchen. Bei Norwide können Tourist:innen nicht nur Touren mit Schlittenhunden buchen, sondern mehrtägige Trips mit unterschiedlichen Aktivitäten: Im Sommer von Wandern über Kanufahren bis zur Bärenbeobachtung und im Winter vom Schneeschuhausflug über Schneemobiltouren bis zum Eisfischen.
Jetzt im Herbst haben die Schlittenhunde saisonbedingt frei. Wobei, ganz stimmt das nicht, denn trainieren müssen sie schon. Und bei den Welpen wird sich bald herausstellen: Welcher Hund ist stark genug, dass er den Schlitten ziehen kann? Und welcher ist so schlau, dass er den Ton und die Richtung im Rudel und an der Spitze des Schlittens angeben wird?
Auch unsere Unterkunft im Hossa Nationalpark gehört zu Norwide – sie besteht aus einem Restaurant und Aufenthaltsgebäude, das ein wenig wie eine kanadische Lodge daher kommt, einem Campingplatz, sieben roten Holz-Chalets, 25 Doppelzimmer-Ecolodges mit großer Glasfront und Seeblick und natürlich – wie könnte es in Finnland auch anders sein – einer Sauna direkt am See. Wer die finnische Natur hier nicht fühlt, dem ist wirklich nicht zu helfen. Wir wohnen in einer der Ecolodges und es ist fast schade, dass unser Programm so vollgepackt ist, dass wir den Ausblick vom Bett oder wahlweise kleinen Balkon auf den See nicht länger genießen können.
Epischer Trail, epische Landschaft
Am nächsten Tag geht es direkt nach dem Frühstück wieder aufs Mountainbike. Diesmal haben wir uns einen Teil des Sininen Saavutus Trails vorgenommen. Der knapp 50 Kilometer lange Trail mit nicht ganz 500 Höhenmetern wurde von der internationalen Mountainbike-Vereinigung (IMBA) zum „Epic Trail“ ernannt. Die IMBA zeichnet mit dem Prädikat „epic“ natürliche Trails mit einer Mindestlänge von 30 Kilometern aus, die technisch und körperlich anstrengend, sowie landschaftlich ansprechend, kurz eben einfach epic sind.
Die meisten dementsprechend geadelten Trails gibt es (natürlich) in Amerika und Kanada, in Europa sind es nur vier: die Laugavegur Route auf Island, Afan Forest Park in Wales, den Alps Epic Trail in Davos und eben den Sininen Saavutus Trail im Hossa Nationalpark in Finnland. Ich kenne bisher nur den Alps Epic Trail in Davos und dieser hat sich gleich dermaßen in mein Mountainbikerinnen-Herz gebrannt, dass die Erwartungen an den Sininen Saavutus Trail entsprechend hoch sind. Auch wenn ich mir den Trail irgendwie nicht vorstellen kann: 50 Kilometer mit nur 500 Metern Höhendifferenz?! Das bedeutet, dass der Sininen Saavutus ziemlich flach ist und mein in den Alpen antrainiertes Konzept „erst hochquälen, dann runterfetzen“ nicht ganz aufgehen wird. Auf diesem Trail werde ich die meiste Zeit treten müssen. Kann ich auf so einem Trail wirklich Spaß haben? Und Flow erleben? Wird der Sininen Saavutus dem Prädikat „epic“ wirklich gerecht?
Erholsame Einsamkeit und ein bisschen Nervenkitzel
Ja wird er. Jetzt habe ich meine mühevoll aufgebaute Spannung in nur drei Wörtern komplett verpuffen lassen, deshalb noch ein wenig Erklärung: Die 500 Höhenmeter verteilen sich so schlau, dass es es fetzig-flowige Sequenzen gibt und kurze Bergauf-Stellen, die einem steil den Puls in die Höhe treiben. Für Abwechslung ist gesorgt: Der wurzelige Waldboden wird strandig-sandig je näher es ans Wasser geht. Ab und an helfen lustig-rutschige Holzstege über kleine Bachärmchen und Moore. Wasser, überall Wasser. Am Wegesrand: Beeren und glücklicherweise keine Bären, auch wenn die heimische Tierwelt diese hergäbe. Auf dem Weg dafür: riesige Elchspuren. Aber: Keine Wanderer, keine Blockierer, kein Bremser, kein NIEMAND NICHT NIRGENDS. Und sieht man doch einmal am Tag eine andere Person, erschrickt man fast und ärgert sich darüber, zu viele skandinavische Thriller und Krimis gesehen zu haben. Die meiste Zeit sind wir mutterseelenallein in dieser mystisch-herbstlichen Umgebung. Ruhe. Natur. So unendlich viel Natur. Für die Misanthrop:innen unter euch ist Finnland definitiv ein go to place. Und für Mountainbiker:innen? Stand jetzt, würde ich sagen: „Ja ja, ebenso!“, aber unser Trip ist ja noch nicht zu Ende. Während wir wieder an einer der vielen Feuerstellen unsere Würstchen braten, treffen wir zwei, die daher kommen, wo wir als nächstes hinfahren: Ruka. Doch eines nach dem anderen, denn vorher müssen wir noch Rentiere streicheln.
Rudi – und andere Rentiere
Rudi gehört dem Weihnachtsmann und so wie Rudi gehören alle Rentiere in Finnland irgend jemanden, auch wenn sie im Sommer auf ihren breiten schneeschuhartigen Hufen vogelfrei durch die Gegend laufen. Auf etwa einem Drittel der Fläche Finnlands ist Rentierzucht zugelassen, dass heißt, dass die Züchter:innen ihre Renntiere dort weiden lassen dürfen, auch wenn das Land nicht ihnen gehört. Rentierzucht hat viel Tradition in Finnland, wird meist innerhalb der Familie weitergegeben und es ist gesetzlich geregelt, wer die Tiere überhaupt züchten darf. In Finnisch Lappland gibt es um die 200.000 der finnischen Wahrzeichen auf vier Beinen. Einmal im Jahr, im September zur Brunftzeit, werden die Tiere in Gruppen in Gehege getrieben, gezählt, gegen Parasiten behandelt und zur Schlachtung ausgesucht.
Wer die Chauffeure des Weihnachtsmanns nicht nur sehen, sondern auch füttern und streicheln oder sich ganz in Santa Claus Manier in einem Schlitten herumkutschieren lassen will, kann das im Hossa Rentier Park. Dort gibt es ein paar Tiere, die nicht irgendwo in der Umgebung weiden, sondern quasi zuhause sind – nicht nur für Tourist:innen, sondern auch weil sie alt, schwach oder trächtig sind. Das Café und Restaurant des Hossa Rentier Parks ist gemütlich wie eine alpenländische Hütte. Hier gibt es Gerichte mit Rentierfleisch, selbiges zum Mitnehmen und jede Menge andere, handgemachte Souvenirs und Mitbringsel.
Finnlands größtes Skigebiet
Am nächsten Morgen fahren Jens und ich 100 Kilometer in den Norden nach Ruka. Wir checken in dem mehrstöckigen Apartment-Hotel Ruka Valley ein, direkt an der Gondel im gleichnamigen Ort Ruka Valley oder wie es auf Finnisch heißt: Rukan Laakso. Wie es sich für Finnland gehört hat unser Apartment eine eigene Sauna, doch für diese ist erstmal keine Zeit, denn wir sind mit Anna-Riitta zum Essen verabredet und das Restaurant Camp Kitchen & Bar im Erdgeschoss unseres Hotels sah durch die Fensterscheibe schon ziemlich hip und lecker aus. Beim Essen schlaut uns Anna-Riitta über das Gebiet auf: Ruka ist eines der größten finnischen Skigebiete mit 39 Pisten und 22 Liften. Der höchste Punkt Rukatunturi liegt auf 492 Metern. Auf der anderen Seite des Hügels liegt Ruka Village und eine Gondel verbindet beide Orte. Skifahrer:innen können auf den Pisten Rukas eine maximale Höhendifferenz von 201 Meter zurücklegen, die längste Abfahrt ist 1.300 Meter lang. Die Saison hat mehr als 200 Tage: Im Oktober, nur wenige Wochen nach unserem Besuch hier, startet sie. Die Hügel aus konserviertem Schnee der vergangenen Saison für die ersten Pisten können wir durchs Fenster sehen. Für Menschen, deren Skisozialisation in den Alpen stattfand, klingen Höhendifferenz und Pistenlängen zugegebenermaßen ein wenig putzig. Schwer beeindruckt bin ich aber davon, wie konsequent Ruka nun auf das Thema Mountainbiken setzt. 2020 startete der Bau des Bikeparks, das Meiste ist schon fertig. Bis 2022 soll es sechs Trails geben und Skill Park, Pump Track und jede Menge Cross Country Strecken nicht mitgezählt.
Ruka Bikepark
Was der finnische Bikepark kann, schauen wir uns nach dem Essen an. Wir nehmen die Valley-to-Valley Gondel nach Ruka Village oder Rukan Kylä, wie es auf Finnisch heißt, bekommen Commencal Leihbikes und lernen unseren Guide Reece kennen. Den Australier hat die Liebe über Kanada nach Finnland verschlagen und er macht uns Ruka schon bei der ersten Auffahrt mit der Gondel als brandneues Mini-Whistler schmackhaft. Wir fahren alle fertigen und noch im Bau befindlichen Trails ab und verstehen schnell, was Reece mit der Parallele zu Whistler meint, auch wenn sie freilich übertrieben ist: Im Ruka Bikepark setzt man auf gebaute, breite und wenig schwierige Brechsandtrails voller Wellen, kleiner Hüpfer und Anliegerkurven. Zwischen den frisch gebauten Flowtrails finden sich ein paar wurzelige Enduroabschnitte. Unser Fazit: Der Ruka Bikepark wird technisch-ambitionierte Mountainbiker:innen sicherlich nicht tagelang beschäftigen, aber Anfänger:innen, Familien und alle jenen, die in ihren Finnland Trip einen entspannten Tag auf dem Mountainbike einbauen wollen, ist der Park und das Bikeangebot außenrum durchaus zu empfehlen. Bevor wir mit Reece viel zu lange in der Camp Kitchen & Bar versumpfen, tauschen wir unsere Commencal Enduro und Downhill Bikes noch gegen E-Bikes, denn am nächsten Tag werden wir mit Reece’ Chefin die örtlichen Cross Country Trails auschecken. Während wir den Abend mit Reece in der Bar verbringen, gebe ich die Hoffnung Polarlichter zu sehen nicht auf, checke regelmäßig meine App und renne vor die Tür um in den Himmel zu schauen: Denn laut Anna-Riitta kann das hübsche Himmelsspektakel zwischen August und April auftauchen, doch die Chancen stehen aufgrund des wolkenverhangenen Himmels leider schlecht und ich werde diesmal kein Glück haben.
Ein heiliger Ort der Sami
Am nächsten Tag geht es mit Mari, Reece' Boss und Chefin der örtlichen Skischule, auf einer aussichtsreichen E-Bike Tour von unserem Hotel aus auf den Pikku Pyhävaara. „Pyhä“ bedeutet geweiht oder heilig. Der bewaldete Felshügel Pyhävaara war ein heiliger Ort für die Sami, das indigene Volk, dessen Siedlungsraum viel größer ist als Lappland und sich über den Norden Norwegens, Finnlands, Schwedens und Russlands erstreckt. Am endlosen Blick über die weite Landschaft samt ihrer vielen Seen bis weit über die russische Grenze, alles eingetaucht in herbstliche Töne, kann ich mich einfach nicht satt sehen. Ab und an sollte ich allerdings den Weg im Blick haben, denn auch wenn wir wie im Bikepark hier meist technisch unschwierig auf breiten Wegen aus Brechsand oder Sägemehl unterwegs sind, ist Aufmerksamkeit gefordert, denn der Pyhän Jyssäys Trail ist eine beliebte Wanderung und dementsprechend viele Leute sind auf der sechs Kilometer langen Runde unterwegs.
Als wäre meine Festplatte für grandiose Ausblicke nicht eh schon voll, ziehen wir am Abend noch einmal um ins Iisakki Glass Village. Zehn verglaste Tiny Houses mit eigener Küche und kleinem Bad erlauben den direkten Blick auf den Rukajärvi See, an dem es natürlich auch eine Sauna für die Bewohner:innen gibt. Doch in deren Genuss kommen wir nicht, denn wir brechen auf zu einem ganz besonderen Sauna-Erlebnis nach Pohjolan Pirtti in Vuotunki.
So geht Sauna!
Nach einer halben Stunde Fahrt lässt uns der Taxifahrer raus und wir stehen vor einem roten Holzhaus mit weißen Fenstern, das aussieht wie aus einem Bilderbuch gefallen. Später werden wir erfahren, dass es 1891 gebaut wurde und zum Teil wie damals erhalten ist. Während wir noch staunen, tritt Tanja Pohjola aus der Tür, begrüßt uns und führt uns in ein kleines Nebengebäude. Früher war es der Stall des Anwesens, heute befinden sich hier drei Saunen, Duschen, Umkleiden, ein Hot Tub auf der Terrasse und ein gemütlicher Raum mit Feuerstelle. Dort sitzen wir bei Tee und Cranberry Saft und hängen an Tanjas Lippen, denn sie ist ein wahrhaftiges Sauna- und Geschichtslexikon mit einem unglaublichen rhetorischen Talent. Sie erzählt uns, dass frühe finnische Siedler:innen immer zuerst eine Sauna und dann erst andere Gebäude gebaut haben. Einfach, weil man in einer Sauna alles machen kann: vom Wäsche waschen bis zum Brotbacken. Dass Frauen zum Kindergebären in die Sauna gingen, und Alte zum Sterben. Dass die Sauna bis heute ein heiliger Ort ist, von dem alles Schlechte ferngehalten wird und für den es klare Regeln gibt. Dass es der Ort ist für tiefe Gespräche und wichtige Verhandlungen. Dass wer Finnen wirklich kennenlernen will, mit ihnen in die Sauna gehen muss. Und dass für all diese Tradition die finnische Sauna 2020 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt wurde. Wir machen mehrere Saunagänge mit verschiedenen Aufgüssen, die nicht fertig gemixt aus einer Plastikflasche kommen, sondern für die Tanja die Zutaten, Kräuter und Birkenäste selbst gesammelt, getrocknet und gebunden hat. Zwischen den Gängen erzählt sie uns mehr von sich, ihrem Mann, dessen Vorfahren sich hier niederließen und ihrer Familie, mit der sie diesen Ort schon in der elften Generation betreibt. Heute kann mir hier nicht nur Sauna Zeremonien buchen, sondern in dem roten Bilderbuchhaus auch den Weihnachtsmann persönlich treffen, inklusive Frau Claus und den Elfen und ihnen bei ihren Vorbereitungen helfen. Dann wird gemeinsam gegrillt, Saft getrunken, Weihnachtskarten gebastelt, gebacken und gesungen und am Ende bekommt natürlich jede:r ein Geschenk. Und obwohl ich solche Weihnachtsinszenierungen persönlich gar nicht mag, kann ich mir an diesem Abend in der Sauna und später beim Essen im großen, holzvertäfelten Saal des roten Hauses nichts Schöneres vorstellen, als im tiefen Winter hierher zurückzukommen und mit einem verkleideten älteren Herrn Plätzchen zu essen. Pohjolan Pirtti ist ein ganz besonderer Ort, der von seiner Geschichte lebt, aber vor allem von seinem herzlichen und offenen Gastgeber-Ehepaar Tanja und ihrem Mann Matti.
Fazit: Mountainbiken in Finnisch Lappland - top oder flop?
Ein reiner Mountainbike-Trip nach Finnisch Lappland wäre vermutlich etwas verschenkt, denn die Region ist ein Gesamterlebnis, hat viel mehr zu bieten als nur ein paar Trails und ist definitiv das Richtige für alle Naturfans. Einen Platz auf der Mountainbike-Landkarte hat Finnisch Lappland aber auf jeden Fall verdient und wer dem hohen Norden einen Besuch abstattet, sollte nicht nur an Huskys, Rentiere und Wandern denken, sondern ein paar Tage mit dem Rad einplanen.
Und ich plane derweil schon den nächsten finnischen Radl-Trip: In meinem Kopf spukt die Idee herum, wie es wohl wäre die nordischen Nationalparks mit Gravelbike und Bikepacking-Taschen zu erkunden und in den frei zugänglichen Hütten zu übernachten? Ob die Trails dann doch zu rumpelig sind, so ganz ohne Federung und mit den schmalen Reifen? Oder es genau richtig ist? Ihr werdet es auf jeden Fall hier erfahren! Und vielleicht habe ich dann auch das Glück, das Polarlicht zu sehen.