Pop Down Hotel Zillertal Architektur 1

„Das Pop Down Hotel lebt davon, dass die Leute ein Teil von ihm sind.“

Gelangweilt von Hotels, die alle irgendwie gleich sind? Dann bucht euch im Pop Down Hotel im Zillertal ein! Das temporäre Hotelprojekt feiert Tradition und Nostalgie und verbindet sie mit urbanen Ideen und modernen Konzepten. Und das kommt so gut an, dass das Hotelprojekt in die Verlängerung geht. Outville hat mit den Hoteliers gesprochen.

Wenn in österreichischen Urlaubsregionen Höfe, Hotels und Pensionen in die Jahre kommen oder ein Generationswechsel ansteht, dann passiert in der Zwischensaison in Windeseile und unter Ausschluss der Touristen meistens Folgendes: Das alte, dunkle Holz wird herausgerissen oder abgeschliffen, auf jedem verfügbaren Quadratzentimeter wird angebaut, ein Wellnessbereich muss her und neue Möbel, die eher an Ikea oder Kare und weniger an Landhaus erinnern, werden angeschafft. Am Ende sind die Häuser häufig zusammengestückelte, wenig stimmige, im besten Fall funktionale Mischungen aus verschiedenen Stilen, die mit Sicherheit keinen Architekturpreis gewinnen.

Aus dem Zillertaler Grillhof wird das Pop Down Hotel

Im Pop Down Hotel in Ried im Zillertal hat es das Hotelierspaar Silvia Gschösser und Markus Rist bewusst ganz anders gemacht: Ganz nach dem Motto – weißes Papier, alles auf Anfang – haben sie den 1971 von Markus Rists Eltern als Gasthof gegründeten Zillertaler Grillhof außen weiß angestrichen und im Inneren Wände und Decken eingerissen, den Keller geflutet, eine lange Tafel gebaut, moderne Lampen aufgehängt – aber auch vieles genau so gelassen, wie es schon seit Jahrzehnten war: Teppichböden, Holzvertäfelungen, Vorhänge. Entstanden ist eine Mischung, die das sonst an glatt gebügelten Alpenschick gewohnten Touri-Auge vielleicht erst etwas irritiert, dann aber herrlich erfrischend wirkt bis ins kleinste, scheinbar beiläufig und doch mit Bedacht platzierte Detail.

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Pop Down Hotel Zillertal Architektur 6
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Doch es blieb nicht nur bei den ausgefallenen Umbauten, für die das schweizerische Architekturbüro BUILD_Inc. verantwortlich ist, auch die Getränke- und Speisekarte und das Wochenprogramm wurden aufgepeppt. Die Drinks – jeder einzelne mit mindestens einer einheimischen Zutat aus dem Tal – mixt Lukas Motejzik, Mixologe des Jahres 2017, der in München das Zephyr und die Herzog Bar leitet. Die Verbindung aus Tradition und Moderne der Architektur spiegelt sich auch in der Küche wider: mit saisonalen und regionalen – auch veganen – Gerichte wie „Schmorbratl vom Ochsen mit Minikartoffeln, gegart in Salz und Heu“ oder „Vegane Schupfnudeln mit Steinpilzen“. Bis zu drei kostenlose Veranstaltungen aus Kunst, Kultur und Musik finden jede Woche im Pop Down Hotel statt.

Pop up + Count down = Hotelprojekt auf Zeit

Pop Down setzt sich aus „Pop up“ und „Count Down“ zusammen – denn der Zauber sollte eigentlich nur 150 Tage bis April 2018 währen, danach sollte der ehemalige Zillertaler Grillhof generalsaniert werden. Doch das Projekt kommt so gut an, dass es in die Verlängerung geht. Outville hat mit Markus Rist und Silvia Gschösser über die Idee hinter dem Pop Down Hotel gesprochen. Sie ist größer und mehr, als sich nur der hippen Begrifflichkeit „Pop up“ oder dem modernen Konzept der Zwischennutzung zu bedienen.

Wie seid ihr auf die Idee zum Pop Down Hotel gekommen?

Silvia: Markus und ich leiten das Hotel seit fünf Jahren gemeinsam. Wir wussten, irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Eltern ausziehen und wir den Betrieb dann in die Zukunft führen dürfen. Markus ist zwar der Sohn des Hauses, aber ich würde uns beide nicht als klassische Gastronomen bezeichnen. Ich bin sowieso der totale Quereinsteiger. Wir wollten unseren eigenen Weg gehen: Nicht alles umschmeißen und neu machen, sondern den Gästen das Haus noch einmal zeigen, es zur Schau stellen und wieder Zillertaler ins Hotel locken. Es sind immer weniger Einheimische gekommen, das komplette Gasthausleben, das in Tirol eigentlich Tradition ist, geht zurück. Das wollen wir ändern.

Nach knapp zwei Jahren Planungsphase habt ihr losgelegt. Was habt ihr umgebaut?

Markus: Im alten Gastlokal gab es eine Bar, einen kleinen Restaurantbereich und hintenraus einen Saal für Busgruppen. Dort haben wir den Boden rausgeschnitten und so eine Verbindung zu einem darunterliegenden Raum geschaffen, der früher der Fernsehraum war, der aber jetzt nicht mehr genutzt wurde. Da sieht man mal, wie alt das Haus ist: Es gab noch keine Fernseher in den Zimmern, man hat Fußball und Skirennen im Fernsehraum geschaut. Auch nach oben in den ersten Stock haben wir aus einem Zimmer den Boden rausgeschnitten, eine Treppe gebaut und einen Tisch durch insgesamt fünf Zimmer. Wir haben die Zimmer aber so gelassen wie sie waren: Der Teppich ist noch da, die Dusche, das Waschbecken hängt noch, funktioniert sogar. Es schaut aus, als wenn das Zimmer grad noch bewohnt gewesen wäre, aber man sitzt am Tisch und isst.

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Im Keller gab es noch einen Rohbau. Ein cooler Raum, mit einer schrägen Decke und zwei Öffnungen, durch die Tageslicht hineinscheint, etwas tiefer gelegen als der normale Keller. Damit wollten wir was machen. Und dann ist uns irgendwann eingefallen: Wasser! Wasser bedeutet Veränderung, wir machen da Wasser rein! Dann haben wir einen Steg darüber gebaut und wenn mich Leute heute fragen, wie sie aufs WC kommen, dann sag ich: Die Stiege runter, dann übers Wasser, durch den Wald aufs WC! (lacht)

Der Tisch zieht sich bei euch vom Keller bis in den ersten Stock. Ist er ein zentrales Element?

Silvia: Der Tisch ist das Wesentlichste von unserem Konzept. Wir wollten ja die Leute wieder zusammenbringen. Die Hotelgäste sollten nicht unter sich bleiben, sondern mit den Zillertalern und den Tirolern zusammen kommen. Der Tisch hat in Tirol einen sehr großen Stellenwert. Das Leben in den Familien hat früher am Küchentisch stattgefunden. Am Tisch hat man nicht nur gegessen, da ist debattiert worden, Politik gemacht worden, man hat sich getroffen, Karten gespielt. Es hat noch keine anderen Kommunikationsmöglichkeiten gegeben. Man hat sich klassischerweise nach dem Gottesdienst im Gasthaus getroffen und ausgetauscht. Der Tisch war das wesentliche Möbel. Wenn also alle wieder zusammen kommen sollen, dann brauchen wir einen riesigen Tisch, an dem alle zusammen sitzen. Das hat einen sozialen Hintergrund.

Das spiegelt sich auch im Essenskonzept: Wir kochen, was in Tirol Tradition ist, Zillertaler Hausmannskost. Und das Essen soll die Leute dazu anregen, wieder ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen. Es hat nicht jeder seinen Teller und jeder isst etwas anderes, sondern die Leute essen zur gleichen Zeit oft dasselbe Essen und das unterstützt den Austausch. Es geht ganz viel um Begegnung und ums Zusammenkommen.

Funktioniert das? Tauschen die Leute sich aus?

Markus: Es funktioniert sehr gut, die Leute kommen wirklich ins Gespräch. Auch wenn sie am Anfang noch skeptisch sind: Was, mit anderen Leuten zusammen, an einem Tisch?!?

Silvia: Klar, unser Konzept ist polarisierend. Wir haben ganz unterschiedliche Gäste. Einerseits haben wir die Stammgäste, die seit über 40 Jahren kommen. Da waren auch welche dabei, die gedacht haben, sie sind jetzt in einer anderen Welt. Aber sie vertrauen uns einfach und kommen auch wegen uns. Ich glaube, dass ein Großteil der Leute den Weg auch mit uns weiter geht, weil man man eine persönliche Beziehung aufgebaut hat. Natürlich haben wir jetzt auch eine ganz neue, junge Zielgruppe, die vorher nie zu uns gekommen wäre, die teilweise nicht mal ins Zillertal gekommen wäre. Jeder kommt mit anderen Erwartungen, jeder Gast hat andere Vorlieben und wir versuchen es immer allen Recht zu machen, aber es geht nur bis zu einem gewissen Grad. Wir wollen uns treu bleiben. So sind wir, wir sind zwei Individuen, so fühlen wir uns wohl. Und so sprechen wir automatisch ganz unterschiedliche Leute an, ohne uns zu überlegen: Welchen Gast wollen wir eigentlich?

Wie schwer war die Entscheidung für so ein modernes Konzept?

Markus: Natürlich braucht man Mut. Unser Ziel ist, den Tourismus neu zu überdenken, weg von der Masse, ein bisschen mehr Kultur reinbringen, Einheimische und Gäste zusammenbringen. Man muss sich vorstellen: Im Zillertal hat die Einwohnerzahl zu den Touristenzahlen überhaupt keine Relation mehr. Es machen hier so viele Leute Urlaub! Für den Zillertaler, der mit dem Tourismus nichts oder wenig zu tun hat, für den ist das schwer zu verstehen und auch nicht immer ein Spaß. Häufig meiden Einheimische Gasthäuser und Hotels. Sie denken sich: Was hab ich davon? Ich hab nur den Schmutz, den Stau, die Wartezeiten beim Skifahren. Aber der Tourist kommt nicht zu uns, weil er uns die Straße verstopfen oder Schmutz hinterlassen will, er kommt, weil er gerne Ski fährt oder es ihm bei uns gefällt. Wir müssen froh sein, dass wir den Tourismus haben. Wir wollen auch etwas für die Einheimischen machen. Deswegen haben wir gesagt: Wir machen alle Veranstaltungen kostenlos, weil wir nicht wollten, dass man dann sagt: Schau die Touristen sitzen da am Tisch, die haben nichts bezahlt, aber wir müssen Eintritt zahlen! Wir wollen eine gute Unterhaltung für alle machen.

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Was war am schwierigsten bei dem Projekt?

Silvia: Für mich war das Schwierigste, dass die Begeisterung und Euphorie, die wir hatten, auch auf die anderen Leute überschwappt. Wir waren von Anfang an dabei und haben gesagt: Geil, das machen wir, super lässig! Und viele haben nicht verstanden, was das soll. Pop Up, das kennt man in der Region nicht. Und dann ist das ganze Haus weiß geworden... Den Leuten dann zu erklären, was wir damit wollen, das dauert einfach. Oder: Das hat das Haus selbst gemacht, als es dann fertig war. Das Konzept lebt davon, dass Leute herkommen und es sich anschauen und Teil davon sind. Dass sie einen Abend dasitzen und mitessen. Es zu erklären hat keinen Sinn, man muss einfach dabei sein.

Wie kam eure Idee bei der Hotellerie an?

Silvia: Viele haben gesagt: Mei ihr habt echt – wie man im Zillertal sagt – an Schneid. Also: Das musst dich erstmal trauen. Es war so eine Mischung aus Verunsicherung und Bewunderung.

Markus: Geschmack ist verschieden, aber ich glaube die Leute fanden es interessant. Wenn man es vielleicht nicht schön findet, interessant findet es jeder!

Was war das Wichtigste, das ihr gelernt habt?

Markus: Wenn man ein Haus weiß streicht, unbedingt abhängen! (lacht) Es war kurz vor Allerheiligen, der Friedhof ist gleich nebenan und die Nachbarn kamen alle: Mein Grab ist weiß und mein Auto! Es hat sich dann zum Glück alles reinigen lassen.

Silvia: Und wir wurden an Fasching aufgeführt!

Markus: Die Dorfgemeinde veranstaltet immer ein Faschingsfest und dieses Jahr haben sie das Pop Down Hotel aufgeführt, das war lustig. Ich möchte mich eh nochmal bedanken für die gute Werbung!

Silvia: Sie hatten einen Anhänger mit dem Pop Down Hotel und haben es als die Ferienresidenz von Donald Trump verkauft. Das sind dann so Bezüge, da kommt man selbst nicht drauf: Weißes Haus! Im Nachhinein ist es uns auch klar. So ist es eben mit Kunst, oder mit dem was wir hier machen: Da hat jeder seine eigene Verbindung. Der eine redet nur über die Badezimmer, die man noch sieht, der andere nur über den See im Keller, der nächste nur über den Tisch. Jeder nimmt eine andere Idee mit. Es ist eine interessante, spannende Zeit!

Was ich wirklich gelernt habe: Man muss sich schon einiges trauen, weil es ist eine riesige Verantwortung ein Hotel in die Zukunft zu führen und einen Familienbetrieb zu übernehmen. Man macht sich so viele Gedanken, man will alles mindestens genauso gut machen wie die Schwiegereltern oder wie die Eltern. Man ist verunsichert, denn es gibt ja so viele mögliche Wege. Es ist schwierig und mühsam, aber es zahlt sich am Ende immer aus.

Bis April 2019 hat das Pop Down Hotel noch geöffnet. Was sind dann eure Pläne?

Silvia: Jetzt sind wir relativ weit in der Planung. Aber wir haben noch einen Sommer und einen Winter Zeit, um ein bisschen zu genießen, was wir geschaffen haben. Wir haben dieses Projekt nur einmal im Leben, das wird danach nie wieder kommen.

Markus: Wir brauchen keinem Trend hinterherlaufen, sondern machen unseren eigenen Trend. Und das macht Spaß. Wir werden schauen, dass man ein bisschen was vom Pop Down auch im neuen Projekt noch sieht. Keine Angst, wir werden nicht zu normal!

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Katharina Kestler

Journalistin mit fränkischen Wurzeln und Wahlheimat München - liebt die Abwärtsbewegung, egal ob auf Ski oder mit Rädern.

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