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Wo der sagenumwobene Japow am ursprünglichsten ist

Ein Geheimtipp ist Japan unter Freeridern und Skifahrern nicht mehr. Während bei den meisten Powdersüchtigen die Skigebiete auf der nördlichen Insel Hokkaido, vor allem Niseko, ganz oben auf der Bucket List stehen, lohnt sich ein Besuch der Hauptinsel Honshu, wenn man auf der Suche nach alpinen Panoramen, steilem Gelände und echtem Japan ist.

„Skifahren in Japan?!? Geht das denn?“, in Kombination mit einem „Bist du eigentlich völlig bekloppt?!“-Gesichtsausdruck. Diese Reaktion kam vor vier Jahren, als ich das erste mal nach Japan zum Skifahren geflogen bin, von jedem Zweiten. Damals kannte die sagenumwobenen Schneemassen, die Japan angeblich jeden Winter heimsuchen, nur, wer sich regelmäßig Nimbus Independent Clips reinzog oder jede Freeski Movie Premiere besuchte.

Japow statt Champagne Powder

Mittlerweile ist Japan so etwas wie das neue Kanada geworden. Viele haben sich den Trip dorthin auf eigene Faust organisiert, die Stumböcks und Flory Kerns des Skibusiness haben das neue Powderparadies für nicht ganz so Abenteuerlustige gewinnbringend erschlossen und jeder, der einen sauberen Parallelschwung zustande bekommt, träumt davon, einmal in seinem Leben durch Japow zu pflügen. Die Hauptgründe sind der Schneefall und die Kosten: Dank kalter, trockener sibirischer Winde, die sich über dem japanischen Meer mit Feuchtigkeit anreichern, kommt der Japow in Japan sehr viel zuverlässiger an, als der (noch) bekanntere Champagne Powder in Nordamerika, der sich in Zeiten des Klimawandels das ein oder andere Jahr etwas rar gemacht hat. Und günstiger als in Whistler oder Revelstoke ist der asiatische Skispaß ohnehin.

Alles, wovon Freerider träumen

Die Meisten, die einen Skitrip nach Japan planen, steuern Hokkaido, die zweitgrößte Insel Japans, an und dort das derzeit wohl bekannteste japanische Skigebiet Niseko. Auch mich hat es bei meinem ersten Japan-Trip zum Freeriden und Skitourengehen nach Hokkaido in die Skigebiete Niseko, Moiwa, Rusutsu und Chisenupuri verschlagen. Die Insel wurde ihrem Ruf gerecht: Sie lieferte die dicksten Schneeflocken, die ich je gesehen habe, die höchsten Schneewände am Straßenrand, an denen ich je entlang gefahren bin und den längsten durchgängigen Schneefall, den ich je erlebt habe.

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Die Folge: völlige Überforderung, wegen gar so viel Powder, Erstickungsangst bei jedem Turn und grenzenlose Begeisterung darüber, dass man nie, aber auch wirklich nie, eine Rückmeldung vom Boden oder einer tieferliegenden, harten Eisschicht bekommt, wie man sie aus den europäischen Alpen sonst so gewohnt ist. Und sollte man bei den berühmten Treeruns dann doch mal einem Baum nicht mehr ausweichen können, dann lässt man sich eben kurz vorher fallen – denn was soll bei so viel Fluffigkeit um einen herum schon groß passieren?! Wir haben zwei Wochen von früh bis spät ständig gesagt: „Es ist wirklich wie im Film“.

Japan – so viel mehr als Niseko

Es war also klar, dass ich wieder an Bord bin, wenn sich eine neue Japan-Reisegruppe bildet. Doch diesmal sollte es nicht wieder nach Hokkaido gehen, sondern nach Honshu. Auf der japanischen Hauptinsel fällt mehr Schnee als auf der nördlicher liegenden Insel. Zudem sind die Berge dort, die japanischen Alpen, steiler und alpiner, als die in den Gipfelpanorama verwöhnten Augen eines Europäers doch eher einem Mittelgebirge ähnelnden Hügel Hokkaidos.

Naeba – ein Skigebiet aus der Retorte und aus besseren Zeiten

Bei unserem ersten Stop in Naeba in der Präfektur Niigata merken wir noch wenig vom alpinen Potential Japans. Naeba liegt eingebettet von sanften Hügeln nur eine halbe Stunde entfernt vom nächstgrößeren Skiort Yuzawa. Das knapp 8.000 Einwohner zählende Yuzawa verfügt über einen, für einen Skiort äußerst beachtlichen Bahnhof, den der japanische Schnellzug Shinkansen in nur 77 Minuten von der Metropole Tokio aus erreicht. Naeba ist ein günstig gelegenes Skigebiet aus der Retorte, das hauptsächlich aus einem wenig schönen Hotelklotz mit knapp 1300 Betten und 20 Restaurants besteht. Das Skigebiet wurde 1961 eröffnet, gehört der in Japan mehrere Skigebiete betreibenden Prince Hotelgruppe an und war in den 90ern das bekannteste in ganz Japan mit den meisten Skifahrern pro Tag. Um den architektonisch höchstens durch typisch japanische Funktionalität bestechenden Bau des Naeba Prince Hotels, gesellten sich in den Boomzeiten der 80er Jahre optisch ebenfalls wenig charmante Appartement-Hochhäuser, die zum Teil im Hinterland eigene kleine Skigebiete erschlossen. Heute stehen viele der Anlagen leer, die Skigebiete sind stillgelegt, die Lifte abgebaut.

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„Die Besitzer der Appartements kommen einfach nicht mehr hierher“, erzählt Tom Greenall. Der Waliser arbeitet im Winter als Chef-Guide und Mädchen für alles beim Catskiing Anbieter Mikuni Cat. Mit einer um eine selbstgebaute Box für Mitfahrer ergänzten Kässbohrer Pistenraupe bringt er zusammen mit seiner japanischen Frau Kiyoko und seinem ebenfalls walisischen Kollegen James Touristen auf die ehemaligen, heute unpräparierten Pisten eines der stillgelegten Skigebiete. „Auch wenn die Wirtschaft jetzt schon eine Weile wieder wächst, stand sie lange still. Japaner sind vorsichtige, auf Sicherheit bedachte Menschen. Wenn sie nicht das fünffache des Vorjahres verdienen, dann fahren sie einfach nicht mehr in den Urlaub.“

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Wer in Naeba Freeriden will, muss sich mit Tom in den Cat setzen oder in den still gelegten Gebieten Touren gehen. In Naeba selbst ist Freeriden – wie vielerorts auf der japanischen Hauptinsel – verboten, wer es trotzdem tut, riskiert aber selten mehr, als den Skipass zu verlieren. Tom ärgert sich darüber, dass die Japaner das Potential nicht erkennen. „Sie gehen keine Risiken ein, sie tun nur Dinge, die eh schon funktionieren. Japan als Freeride Destination haben Amerikaner und Australier international bekannt gemacht.“

Medial um die Welt gingen die japanischen Skigebiete zum ersten Mal in den Hochzeiten der Moguls Disziplin, als internationale Freestyle-Stars wie Ski-Punk Glen Plake zum Training und für Wettbewerbe nach Japan kamen. An ihren freien Tagen pflügten sie durch japanischen Powder, hielten es auf Film fest und machten Japow so weltbekannt. Auch der Besitzer von Mikuni Cat, dem außerdem eine Skischule in Yuzawa gehört, hatte seine Finger beim Aufstieg Japows im Spiel: Der amerikanische Banker Dan lebt schon seit über 20 Jahren in Tokio. Als das ehemalige Prince Hotel in Niseko pleite geht, arbeitet er bei der Bank, die den Verkauf an die Hilton-Gruppe abwickelt, das Gebiet auf Vordermann bringt und vermarktet.

Kagura – der Freeridespot bei Yuzawa

Während in Naeba Freerider nicht gerne gesehen sind, dürfen sie sich im per Gondel oder mit dem Auto in einer Viertelstunde erreichbaren Kagura Ski Resort austoben. Den Tipp dafür bekamen wir vom schwedischen Snowboarder Jimmy Holmgren, den wir im Mikuni Cat kennenlernten. Er lebt schon seit mehreren Jahren in Japan, arbeitet als Guide und zieht die Gegend um Yuzawa und die Skigebiete auf der Hauptinsel dem seiner Meinung nach überlaufenen Hokkaido eindeutig vor: Billiger, weniger Kommerz, weniger Australier, mehr ursprüngliches Japan und steileres Gelände! Von der Mitsumata Gondel aus gelangt man mit mehreren Gondeln und Sesselliften ans Ende des Skigebiets, muss am Gate Namen, Adresse und Kontaktdaten hinterlassen, dem japanischen Bergwachtler umständlich mit Händen und Füßen erklären, wo man in etwa hin möchte, versichern, dass man sich am Abend zurückmeldet und den Besitz eines funktionierenden LVS Geräts nachweisen. So erwirbt man die Eintrittskarte fürs Backcountry.

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Kurze Aufstiege mit Ausblick auf ein Panorama, das dem der europäischen Alpen in nichts nachsteht, erschließen zwei gut überschaubare Bowls mit größtenteils freundlichem Gelände, das wenig Gefahrenpotential bietet. Dabei befindet man sich als Europäer meist in Gesellschaft von japanischen Freeridern, hauptsächlich Snowboardern, die für den Aufstieg Schneeschuhe dabei haben.

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Nach einem typisch japanischen Dump, wie wir ihn an unserem zweiten Tag in Kagura erleben durften, muss man sich die Mühe jedoch gar nicht machen, sondern findet auch unter den Liften und zwischen den Pisten, einen Spielplatz von solcher Größe, dass ihn die an einem normalen Tag anwesenden, meistens einheimischen Freerider gar nicht bis zum Liftschluss zerpflügen können.

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Schon 1912 wird in Nozawa Onsen Skifahren unterrichtet, 1923 gründet sich der ortsansässige Skiclub und 1930 kommt der Österreicher Skipionier Hannes Schneider vorbei, um seine berühmte Arlberg Technik zu unterrichten. Bis heute erinnern an ihn zum Beispiel eine Statue und ein nach ihm benanntes Hotel. St. Anton und Nozawa Onsen werden in den 70ern sogar Partnerstädte. Obwohl Nozawa Onsen mehr Winterolympioniken pro Einwohner hervorbringt als kein anderer Ort auf der Welt, teilt es mittlerweile das Schicksal Naebas: 1992 war die Hochphase des Skiorts, jede Lodge war Monate im Voraus ausgebucht, die Pisten gespickt mit Skifahrern, die Touristen schliefen zum Teil in ihren Autos auf den Parkplätzen. Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1998 in Nagano wurde die Infrastruktur weiter ausgebaut und erneuert. Doch die Besucherzahlen sanken bald, seit der Hochphase in den 90ern sind die Skipassverkäufe um 80 Prozent eingebrochen, manche Lifte wurden abgebaut, andere laufen nur am Wochenende, das Gebiet wirkt, als wäre die Zeit stehen geblieben. Skipässe sind wie häufig in japanischen Resorts nicht mehr als Zettel, die sichtbar getragen oder beim Einstieg vorgezeigt werden müssen, statt über eine Sitzheizung verfügen Sessellifte oft nicht einmal über einen Sicherheitsbügel und nur im absoluten Ausnahmefall kann man sich während der Liftfahrt mit einer Haube gegen die dicken japanischen Schneeflocken schützen. Junge Japaner scheinen sich nicht mehr für Wintersport zu interessieren, mittlerweile bestimmen die Australier den Ort, vier Fünftel der Touristen kommen von der Insel.

Nozawa Onsen macht es dem Freerider leicht, sehr schnell viele Höhenmeter zu sammeln. Eine Gondel und ein Sessellift erschließen eine ganze Bowl an anspruchsvollen und zum Teil sehr steilen Treeruns mit jeder Menge Pillows, die einen auf der Piste zurück zur Gondel wieder ausspucken. Mit Iains Localtipps finden wir auch am zweiten Tag nach dem letzten Schneefall noch etliche unverspurte Lines und das ganz ohne einen Meter aufzusteigen oder zu queren, um in die ebenfalls steile Backbowl zu kommen, die nochmal ein ähnlich großes Terrain eröffnet, aber etwas schwerer erreichbar ist. Nicht weit entfernt von Nozawa Onsen sind übrigens die berühmten japanischen Schneeaffen zuhause.

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Hakuba – das am meisten touristische Gebiet auf Honshu

Der letzte Stop unserer japanischen Skisafari ist Hakuba, Japans größtes Skigebiet. Es besteht aus insgesamt neun kleinen Gebieten, die zum Teil durch Lifte verbunden sind. In Happo One wurden zum Beispiel die alpinen Wettbewerbe der Olympischen Winterspiele 1998 in Nagano ausgetragen. Die berühmten Treeruns Cortinas kennen Szeneinsider schon aus dem ein oder anderen Snowboard oder Freeski Streifen. Und in diesem Jahr erlangte Hakuba noch mehr Bekanntheit, da die Freeride World Tour, die wichtigste Wettkampfserie im Freeriden, dort Ende Januar zum ersten Mal einen Contest plante, der dann jedoch wegen schlechtem Wetter und Wind gecancelt werden musste.

An unserem ersten Tag in Hakuba sind wir mit Snowboarderin Mirte van Dijk verabredet. Ich kenne bisher nur den Instagram-Feed der digitalen Nomadin aus den Niederlanden, mag ihre Bilder und Geschichten und folge ihr, weil ich finde, dass es mehr Frauen von ihrer Sorte geben sollte. Als ich auf Instagram sehe, dass sie den Winter in Hakuba verbringt, schreib ich sie an und sie antwortet, ich soll mich einfach melden wenn wir da sind. Wir treffen uns in Hakuba Norikura Onsen, wo Mirte den Winter über in einer Lodge jobbt und sich so Kost und Logis verdient. Zusammen mit ihrem Lodge-Kollegen Alex aus Lausanne zeigt uns Mirte einen kleinen Hike und paar Treeruns im ruhigeren Norikura und im geschäftigeren, weil bekannteren Nachbargebiet Cortina. Obwohl der letzte Schneefall schon ein paar Tage her ist, finden wir überraschend guten Schnee und treffen im Wald einen japanischen Serau, ein geschütztes Tier, das aussieht wie eine Mischung aus Bär und Ziege.

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© Seb Jam / Mirte van Dijk

Hakuba ist der am meisten touristische und westlich geprägte Ort auf unserem Trip, aber auch der mit dem beeindruckendsten Gelände. Das stellen wir am letzten Tag unseres Trips fest, als wir in Happo One mit den Liften bis ganz nach oben fahren, um dann am Grat noch ein Stück weiter aufzusteigen und schließlich den Nordhang abzufahren. Die Runde steht Freeride Abfahrten in den Alpen in Punkto Gelände und Ausblick in nichts nach. Zurück geht es mit dem Taxi, dass uns ein japanischer Freerider freundlicherweise gerufen hat.

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Fazit – Hokkaido oder Honshu?

Von meinen beiden Japan-Trips war die Reise nach Honshu definitiv die „japanischere“. Es ist schwer, einen Trip besser als den anderen zu finden. Beide waren schneereich und spannend. Auch wenn Honshu alpiner ist als Hokkaido, fährt man in den Gebieten, die wir besucht haben, wegen ihrer vergleichsweise dennoch recht niedrigen Lage vor allem Treeruns – auch wenn diese deutlich steiler sind als auf Hokkaido. Für ein richtig alpines, mit den europäischen Alpen vergleichbares, Japanerlebnis kommt man am besten im Frühjahr und geht Skitouren. Wer viel Zeit hat, der stattet im Idealfall erst Hokkaido einen Besuch ab und reist dann nach Honshu weiter. Durch seine Bekanntheit und die vielen Australier und Europäer findet man sich als Japan-Neuling oder wenig erfahrener Freerider auf Hokkaido leichter zurecht, die Gebiete auf Honshu – Hakuba ausgenommen – erfordern etwas mehr Recherche im Vorfeld oder Tipps von Locals.

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