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Wie ein Snowboard-Pionier, ein Skibauer und ein Ex-Mountainbike-Profi Andermatt prägen

Bestimmte Orte ziehen bestimmte Menschen an und die Menschen sind es, die die Orte prägen – so auch in Andermatt. Outville hat drei Menschen getroffen, die ihre Leidenschaft für Berge, Schnee, das Freeriden und die lokale Kultur teilen: einen Snowboard-Pionier, einen Skibauer und einen ehemaligen Mountainbike-Profi.

Dicke Regentropfen platschen auf die Windschutzscheibe. Von den Berggipfeln ist nichts zu sehen, als wir durch die enge Teufelsschlucht von Göschenen hoch nach Andermatt fahren. Wieder regnet es, wie beim ersten Mal vor 15 Jahren, als ich im Sommer auf dem Weg zum Biken nach Zermatt war und über Andermatt gefahren bin, um mir das angebliche Top Freeride Gebiet kurz anzusehen. Ein paar Monate davor habe ich in Chamonix ein junges Mädel aus dem Allgäu kennengelernt, die mir von dem kleinen Schneeloch und dem wahnsinnigen Freeride-Gelände rund um den Gemsstock vorgeschwärmt hat. Und davon, dass Chamonix schon ganz cool sei, aber Andermatt zugänglicher, noch nicht so vollgestopft und viel entspannter.

Von Walsern gegründet, von Freeridern entdeckt

Einigermaßen entspannt geht es an diesem Montag, 15 Jahre später, immer noch zu in dem kleinen pittoresken Dorf auf 1.447 Meter Höhe, dessen Ursprünge vermutlich auf die Walser und deren Kolonie An der Matte zurückgehen, die urkundlich erstmals im Jahr 1203 erwähnt wurde. Aufgeblüht ist der Ort im Hochtal von Urseren Anfang des 19. Jahrhunderts als der Gotthardpass ausgebaut wurde und Andermatt sich zu einem Handels-, Ferien- und Kurdomizil entwickelte.

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Ein weißer Fleck auf der Freeride-Landkarte ist Andermatt wahrlich schon lange nicht mehr. Es zählt dank seiner inneralpinen Lage zu den schneereichsten Gebieten der Schweiz. Egal aus welcher Richtung das Tief anrollt, ob von Süden, Westen oder Norden, die weit über 3.000 Meter hohen Felsriesen fangen alles ab und häufen über einen Winter bis zu zehn Meter Schnee an. Die unvorstellbaren Schneemengen und das unerschöpfliche Terrain machen Andermatt zu einem der besten Freeride Spots der Alpen.

Dan Loutrel – vom Skibum aus Amerika zum lokalen Bergführer mit Skimanufaktur

Deshalb kam auch der Amerikaner Dan Loutrel vor 15 Jahren mit einem selbst gebauten Ski nach Andermatt. Schon immer, seit seiner Jugend, wollte er eigentlich nur eines: Skifahren. Im Sommer hat er als Zimmermann sein Geld für den Winter als Skibum verdient und die Saison in bekannten amerikanischen Ressorts wie Vail, Aspen oder Whistler verbracht. Immer wieder erzählen ihm Europäer wie wild, steil und lang die Freerideabfahrten in den europäischen Alpen sind. Das lässt ihn nicht mehr los. Er fliegt nach Europa und landet in der Schweiz. Jetzt steht Dan mit mir an der Gipfelstation des 2.962 Meter hohen Gemsstocks und nach allen Seiten hin eröffnet sich ein an Abfahrtsmöglichkeiten unendlich erscheinendes Gelände.

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Giraffe, Hans im Glück und Monkey Couloir - 1.500 Tiefenmeter lange Freeride Runs

Noch spannender und vielfältiger wird es, so Dan, wenn man ein paar Meter mit Fellen aufsteigt und die dahinter und seitlich gelegenen Gipfel und Täler erkundet. Eine tief verschneite Winterlandschaft. Der Regen unten im Tal hat sich hier oben als luftig feines, weißes Gold abgelegt. Die Bedingungen könnten kaum besser sein. Dan zeigt mir seinen Hausberg, den er in und auswendig kennt. Wir fahren Klassiker wie die Giraffe, Hans im Glück und das Monkey Couloir mit der Schweden Traverse. Was alle Abfahrten mehr oder weniger gemein haben ist, dass man bei jedem Run 1.5000 Höhenmeter vernichtet in einem unglaublich vielfältigen Gelände, in dem sich weite und offene Hänge mit kupiertem felsigen Gelände und steilen Rinnen abwechseln. Durch die meist nord- und ostseitige Ausrichtung bleibt der Schnee lange pulvrig. Ein grandioser Spielplatz für Freunde des Abseitsfahrens.

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In der Schweiz angekommen, verbringt Dan ein paar Wochen mit acht schwedischen Skibums in einem Zwei-Zimmer Appartement in Nendaz. Doch weder das Leben in der skandinavischen Sardinenbüchse noch das riesige, extrem erschlossene Gebiet von Quatre Vallé sind das, wofür er nach Europa gekommen ist. Andere Skibums erzählen ihm von Andermatt, dem vielen Schnee dort, dem steilen, alpinen Gelände, der minimalistischen Seilbahn Infrastruktur und der etwas abgeschiedenen Lage in der Gotthard Region. Das hört sich für ihn mehr nach dem an, was er sich erhofft hat zu finden. Er packt seine Sachen und macht sich auf nach Andermatt.

Bänz Simmen – Snowboard-Pionier, Historiker, Querdenker und Andermatter Urgestein

15 Jahre später ist Dan immer noch hier und lässt gemeinsam mit mir den genialen Skitag bei Bänz Simmen im Kiosk 61 ausklingen. Der Kiosk, eine Mischung aus Internet Cafe, Lottoannahmestelle, Bergkristallladen und Minibibliothek, ist Treffpunkt der lokalen Szene. Hier treffen sich Bergführer, Skibums, Touristen und Einheimische gleichermaßen, auf einen Kaffee, ein Bier oder einen selber gemachten Ingwer Zitronen Tee. Bänz ist ein Andermatter Urgestein, schweizer Snowboard-Pionier, Historiker, Kristallschürfer, Abenteurer, Weltenbummler und Menschenfreund. Er ist ein wandelndes, schweizerisches Geschichtsbuch, weiß viel über Geologie und Wetter, liebt Flora und Fauna und gibt sein Wissen gerne an Gäste weiter, für die er Führungen zu verschiedenen Themen anbietet, im Winter auch mit Schneeschuhen.

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Flurin Riedi – ehemaliger Mountainbike-Profi, Tourismusdirektor und Generation Aufbruch

Im Kiosk 61 treffe ich auch auf Flurin Riedi, der gerade bei Bänz eine kurze Kaffeepause einlegt. Er ist hier im Urseren Tal aufgewachsen und war viele Jahre Mountainbike-Profi. Mittlerweile gestaltet er als Tourismusdirektor von Andermatt den strukturellen Wandel der Region mit. Von ihm erfahre ich viel über die kollektive Depression, in die der Ort durch den Abzug des Militärs im Jahr 2005 gerutscht ist und die Veränderungen, die nötig waren, um eine neue Vision für das Tal und ihre Bewohner zu entwickeln und um die Talflucht der vor allem jüngeren Bevölkerung zu stoppen, indem man ihnen eine langfristige Perspektive bietet. Es war schließlich der ägyptische Immobilienunternehmer und Investor Samih Sawiris, der mit seinem nachhaltigen Tourismuskonzept die Bevölkerung 2007 überzeugt und aus der lähmenden Depression reißt. Ob man das Konzept gut oder schlecht findet, es gab einfach keine Alternative, sagt Flurin. Es musste etwas passieren. Flurin ist Mitte 20, als Sawiris im Gemeindezentrum den Andermattern seinen Masterplan präsentiert. Für ihn ist sofort klar, er will unbedingt dabei sein und beim Aufbruch seiner Heimat in die Zukunft mitwirken. Er entscheidet sich auf die höhere Fachschule für Tourismus in Luzern zu gehen und später die Universität St. Gallen zu besuchen. Sieben Jahre später, mit gerade einmal Anfang 30, wird er Tourismusdirektor in Andermatt. Wir verabreden uns für den nächsten Tag am Berg und als wir den Kiosk verlassen wirbeln dicke Schneeflocken durch die Luft. Andermatt wird seinem Ruf gerecht.

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1.400 Höhenmeter durchs Felsental und Guspis

Über Nacht sind gut 30 Zentimeter Neuschnee am Berg gefallen. Beste Bedingungen also für die heutigen Runs. Ich treffe mich mit Dan und Flurin um kurz nach acht Uhr an der Talstation der Gemsstockbahn. Um uns herum versammelt sich eine Horde fetter Latten mit freudig erwartungsvollen Gesichtern versammelt, die wie wir auf die erste Gondel warten. Gemächlich schaukeln wir hoch zum Gemsstock. Und natürlich werden wir nicht enttäuscht. Sowohl der erste Run durchs Felsental als auch die kurze Tour hinauf zur Gefallenlücke und weiter auf den Gipfel des 2.900 Meter hohen Rothorns bestätigen meinen Eindruck vom Vortag – das Ding hier kann was. Über das Guspis Tal ziehen wir vom Rothorn über 1.400 Höhenmeter unsere Lines hinunter zur Gotthardstraße und weiter bis Hospental. Von dort bringt uns der Zug zurück nach Andermatt.

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Während wir bei einem frischen Panaché auf den Zug warten, erzählt Dan wie er dank seiner kleinen Ski Manufaktur Birdos und als Bergführer mit seiner großen Leidenschaft Skifahren genug Geld für sich und seine Familie verdient. „Ich werde zwar nicht gerade reich damit“, so Dan, „aber ich mache das, was mir Spaß macht. Ich bin happy damit.“ Und genau das merkt man dem sympathischen Wahl-Andermatter an, der im Herzen noch immer ein bisschen Skibum ist.

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Sie hatte Recht, die junge Freeriderin aus dem Allgäu. Andermatt ist ein besonderer Ort, entspannt, offen und herzlich, eine wahre Perle für Freerider und abfahrtsorientierte Tourengeher, die Tiefenmeter mögen, auf gern mal etwas steileres Gelände stehen und auch unter der Woche Zeit zum Skifahren haben. Denn dann findet man auch noch mehrere Tage nach dem letzten Schneefall unverspurte Hänge.

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