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Warum ich jetzt auch Gravel Biker bin - und ob das auch was für euch ist

Wieder so ein Marketing-Gag der Bikeindustrie, dachte sich Outville Gründer Christian Wander anfänglich übers Graveln. Jetzt mag er seinen neuen VPACE Graveler fast mehr als sein Mountainbike. Warum er seine Meinung geändert hat und wie er zu seinem Traumbike gekommen ist erfahrt ihr hier.
Fotos Ralf Bernert

Gib dem Kind einen neuen Namen und plötzlich ist es cool. So geschehen mit dem Gravel Bike, dem neuesten Scheiß der Radindustrie. Ein Freund von mir behauptet immer, dass die Gravel Bikes nichts anderes sind als neu verpackte Cyclocrosser mit entschärfter Geometrie und breiteren Reifen. Und so ganz lässt sich das auch nicht von der Hand weisen. Bei Cyclocross oder auf gut Deutsch auch Querfeldein muss ich unweigerlich an ungemütliches Wetter, Schlamm und Typen in engen Teamlycras denken, die ihr “Rennrad”, gepimpt mit schmalen Profilreifen, über Hindernisse schleppen, bergauf schieben und manchmal sogar bergab, weil sie sonst im tiefen Modder versinken. Wer’s mag, dachte ich mir früher, wenn ausnahmsweise mal Rennausschnitte im Fernsehen zu sehen waren. Fürs Thema Mountainbike war ich wesentlich empfänglicher, als dieses aus den USA zu uns rüber geschwappt ist. Ich war regelrecht angefixt und wollte nur noch mit breiten Stollenreifen durchs Gelände heizen, am liebsten natürlich auf kleinen Wegen und Pfaden. Diese konnten nicht steil, steinig und verblockt genug sein. Je größer die Herausforderung, desto cooler. Breite Forststraßen fand ich auch schon in der Vor-Fully-Zeit irgendwie langweilig, außer sie verliefen durch eine beeindruckend schöne Landschaft.

Das Gravel Bike - nicht Fisch, nicht Fleisch

Irgendwann fing ich an Mountainbike-Rennen zu fahren. Also legte ich mir auf Anraten eines Bekannten mit Mountainbike Weltcup Erfahrung ein Rennrad zu und spulte jedes Jahr mehrere tausend Kilometer auf der Straße ab, um meine Ausdauer und Schnellkraft zu verbessern. Das Gefühl auf der Straße unterwegs zu sein war definitiv ein anderes, aber surrend über den Asphalt rauschen und ordentlich Kilometer schrubben, fand ich mit der Zeit ehrlich gesagt schon auch irgendwie cool. Was mich jedoch von Anfang an gestört hat, war der Verkehr mit all den rücksichtslosen Spezialist*innen, auf ihren motorisierten Zwei- und Vierrädern, mit denen ich das Teerband teilen durfte. So war Rennradfahren für mich eher Mittel zum Zweck und die wahre Passion blieb das Mountainbiken. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

2016 erzählte mir ein Bekannter, dass er sich ein Gravel Bike gekauft hat und damit durch die Walachei heizt. Er war total begeistert, weil er schnell unterwegs sein kann, auf Schotter genauso wie auf Teer. Ich hatte bis dato noch nie davon gehört und dachte mir nur, was soll der Scheiß. Das ist weder Fisch, noch Fleisch. Entweder gehe ich Mountainbiken oder eben Rennradfahren. Aber ein Gravel Bike braucht doch wirklich kein Mensch und damit ist das Thema wieder aus meinem Kopf verschwunden.

Die innere Kehrtwende

Doch dann sind wir im Sommer 2019 von München an den Staffelsee gezogen. Zuvor wohnte ich über 17 Jahre lang nie weiter als zehn Minuten von den Isartrails entfernt. Ich bin sie vor der Arbeit, zwischen der Arbeit und nach der Arbeit gefahren, alleine, mit Freunden und irgendwann auch mit meinen Kids. Oftmals nur für eine gute Stunde, manchmal aber auch für einen halben Tag. Die Isartrails waren nicht mehr und nicht weniger als meine Hometrails. Dann sind sie plötzlich Geschichte.

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Ich wusste ja schon, dass es hier rund um den Staffelsee schön sein würde, aber nicht wie schön. Direkt vor unserer neuen Haustüre erstreckt sich ein bayerisches Hobbitland. Eine traumhafte Naturlandschaft aus riesigen Wäldern, Seen, Feuchtwiesen und Moorlandschaften, kleineren und größeren Hügeln und richtigen Bergen. Für mich ein Traum. Das ganze durchzogen von unzähligen Schotterstraßen, Waldwegen und kleinen Teerstraßen mit wenig Verkehr. Als überzeugter Mountainbiker fand ich jedoch schnell heraus, dass die Trails einfach einen Zacken zu weit entfernt sind. Da muss man schon viel Zeit haben oder eben 20 Minuten Auto fahren. Dafür erschließt sich mir allmählich das Konzept Gravel Bike. Denn beinahe jedes Mal wenn ich mit dem Rennrad unterwegs bin und eine neue Strecke auskundschafte, ende ich in einer Sackgasse, weil die geteerte Straße plötzlich aufhört und in einen Schotterweg übergeht. „Was, wenn ich jetzt ein Gravel Bike hätte?”, denke ich mir. Ganz einfach, dann würde ich jetzt auf Schotter weiterfahren. Überhaupt müsste ich mir vorab keine großen Gedanken mehr darüber machen, ob bestimmte Streckenabschnitte auf einer geplanten Runde mit dem Rennrad fahrbar sind oder nicht. Vielmehr würde ich mir überlegen auf welche Ecke ich heute Lust hätte, ob es möglichst viele Höhenmeter sein sollen, oder möglichst wenige, ob mit möglichst viel Panorama oder mit möglichst wenig Teer, ob ich eine Stunde Zeit habe oder einen halben Tag. Es ist wie eine Art Baukastensystem: Beschränkungen gibt es so gut wie keine, außer die zur Verfügung stehende Zeit und die eigene Fitness. Das klingt nach großer Flexibilität, Freiheit und Abenteuer.

Der Wunsch: Ich will ein Gravel Bike!

Es ist sowas von klar, ich brauche jetzt dringend ein solches Vélo, besser gestern als heute. Ich fange an mich schlau zu machen und mir zu überlegen, was ich eigentlich genau möchte. Mir ist auf alle Fälle wichtig, dass es möglichst zeitlos, unkompliziert und unempfindlich gegenüber Beschädigungen ist, da ich das Rad lange fahren und auch zum Bikepacking hernehmen möchte. Deshalb kommt Carbon für mich als Rahmenmaterial nicht in Frage. Und das, obwohl ich die Fahreigenschaften von Carbon zu schätzen gelernt habe und die organischen Rahmenformen, die mit dem leichten und gleichzeitig steifen Material möglich sind, ziemlich cool finde. Als ich die Alternativen durchgehe, komme ich auf Titan. Titan gilt als die edle Variante von Stahl, besitzt ähnliche Fahreigenschaften ist jedoch noch leichter und widerstandsfähiger. Optisch das krasse Gegenteil von Carbon, aber auf seine Art und Weise sehr ästhetisch. Die puristische Optik von Titan hat es mir schon in meinen jungen Mountainbikejahren angetan. Es galt damals in der Vor-Carbon-Ära als das absolute Highend-Material. Ein Merlin Titan Rad zählte damals zu meinen absoluten Traumbikes. Bis heute blieb es ein Traum, auch deshalb, weil so ein Titanrahmen alles andere als ein Schnäppchen ist.

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Doch dann, als ich für meinen älteren Sohn ein neues Mountainbike bei der auf Kinderbikes spezialisierten Marke VPACE bestelle, entdecke ich zufällig auf der Website, dass sie auch Rahmen für Erwachsene im Sortiment haben, unter anderem auch aus Titan. Preislich zwar auch kein Schnäppchen, aber für Titan schon ok. Einer der beiden Rahmen könnte für meinen Einsatzbereich in Frage kommen. Ich telefoniere mit Sören Zieher. Sören ist der Kopf hinter der kleinen Radmanufaktur aus Ravensburg. Von ihm erfahre ich, dass der T2ST Rahmen, den ich im Auge habe, tatsächlich so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau ist. Ein Rad mit dem man sowohl auf Schotter als auch auf Teer seinen Spaß haben kann. Genau das was ich suche. Entwickelt hat er den sogenannten Speed Traveller bereits 2013, ursprünglich mal fürs Wintertraining und zum Commuten, da man auch richtige Schutzbleche anschrauben konnte; „Jetzt rückblickend betrachtet ist der Speed Traveller so etwas wie der Urvater des Gravel Bikes,” erzählt er. Das hört sich nach einer interessanten Option an, zumal ich damit die Möglichkeit hätte, das Rad nach meinen individuellen Vorstellungen aufzubauen.

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Corona, der Entscheidungsbeschleuniger

Dann kam der Winter. Und obwohl er nicht so richtig in Fahrt kommen wollte, rutschte das Gravel Bike bei mir wieder etwas nach unten auf der „Will ich haben”- Dringlichkeitsskala. Doch das frühe, Corona und Lockdown bedingte Ende der mittelmäßigen Skitouren- und Skatingsaison wirft meine Skala ordentlich durcheinander. Jetzt muss unbedingt so eine Schotterrennfeile her, denn wer weiß wie sich die ganze Situation entwickelt. Ich stelle eine Liste mit Komponenten für mein Traumbike zusammen und schicke sie Sören. Die einzige Frage, die sich mir noch stellt, ist die der richtigen Rahmengröße. Wie so oft liege ich mit meinen 185 Zentimeter zwischen zwei Größen, zwischen M und L. Wir vereinbaren, dass ich bei ihm im Showroom zum Probesitzen vorbei schaue, sobald es die aktuelle Corona-Situation wieder zulässt. Zähe Wochen ziehen ins Land. Das Wetter ist bombastisch, aber Corona lässt mich nicht nach Ravensburg fahren. Nach jeder Ausfahrt mit meinem Rennrad, das ich von mal zu mal über immer längere Schotterabschnitte prügele, fühle ich mich in meiner Entscheidung mehr denn je bestätigt. Kurz vor den Pfingstferien ist es endlich soweit und ich düse nach Ravensburg zum Rahmengrößen-Check: Größe M passt. Wir finalisieren die Komponenten und messen noch den Abstand meiner Sitzhöcker zur Bestimmung der richtigen Sattelbreite. Jetzt heißt es nochmals mich in Geduld üben und warten. Sechs Wochen später klingelt mein Telefon, das Rad ist fertig. Yes! Endlich!

Der proof of concept

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Das Timing hätte nicht besser sein können. Denn für die Woche darauf habe ich schon vor längerer Zeit eine zweitägige Bikepacking-Tour geplant. Ein Geschenk zum 70sten Geburtstag meiner Mutter: Sie mit dem E-Bike und ich mit dem neuen Gravel Bike: Start direkt vor der Haustüre, über Lenggries und den Sylvensteinspeicher bis zum Großen Ahornboden im Karwendel und am zweiten Tag zurück bis Vorderriss, dann entlang an der Isar bis Krün, weiter über die Buckelwiesen nach Mittenwald, entlang des Wettersteinmassivs nach Ellmau und von dort über Garmisch, Eschenlohe, Grafenaschau zurück nach Uffing, 220 Kilometer und 2.300 Höhenmeter. Der ultimative Test, ob sich meine Erwartungen erfüllen und sich mein VPACE Gravel Bike wirklich als die eierlegenden Wollmilchsau entpuppt. Denn die Tour hält alles bereit, Teerstraßen, Schotterwege, steile Rampen bergauf und bergab, groben Schotter und wurzelige Holperwege. Und das Ganze auch noch mit Gepäck. Was soll ich sagen? Es hat delivered! Ich habe ein dickes Grinsen im Gesicht, denn selbst nach den zwei Tagen habe ich weder Schmerzen im Hintern, noch im Rücken, noch im Nacken. Die im Vergleich zu meinem Rennrad eher komfortable, weniger gestreckte Sitzposition ist einfach genial und der Sattel von SQLAB hat sich auch total bewährt. Prädikat „Einfach geil”.

Mein Rad: Details und Ausstattung

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Herzstück meines Gravel Grinders ist der Titanrahmen T2ST von VPACE. Die Geometrie im Vergleich zu anderen Rahmen ist eher zeitlos klassisch, ebenso der Look von Titan. Durch die vielen Anschraubösen eignet sich der Rahmen auch zum Bikepacking: Am Rahmen bringt man bis zu drei Flaschenhalter unter, auf dem Oberrohr gibt es eine Schraub-Befestigungsmöglichkeit für eine kleine Tasche und an der Carbongabel sowie am Hinterbau hat es Anschraubösen für Gepäckträger und Schutzbleche. Der Rahmen kann Reifen bis zu einer Breite von 45 Millimeter in der Größe 700C aufnehmen.

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Da ich es gerne einfach und puristisch mag, habe ich mich für einen 1x11 Antrieb entschieden: Eine Praxiswork Carbonkurbel mit einem 40T Kettenblatt vorne und eine 11-42 Kassette von Sunrace hinten. Bergauf erziele ich damit annähernd die gleiche Übersetzung wie bei einem zweifach Antrieb mit 31/48T vorne und 11-34 hinten. Lediglich in den großen, schweren Gängen verliere ich mit dem einfach Antrieb gegenüber dem zweifach und die Abstufung hinten ist nicht ganz so fein. Die Bremsschalthebel sowie das Schaltwerk stammen aus der Shimano Gravel Gruppe GRX 810. Ebenso die 160 Millimeter Scheibenbremsen mit Ashima Scheiben.

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Bei den 28 Zoll Laufrädern habe ich mich für das handgespeichte VPACE Alu Modell mit 30 Millimeter hoher Aero Felge und Sapim Speichen entschieden. Aufgezogen ist aktuell ein WTB Riddler Reifen mit 37 Millimeter, der für mich als Allroundreifen auf Schotter und Teer bisher recht gut funktioniert hat. Wird der Schotter allerdings tiefer, die Wege steiniger, die Wurzeln holpriger und der Matsch matschiger, dann macht definitiv ein breiterer Reifen um die 45 Millimeter Sinn.

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Lenker, Vorbau und Sattelstütze stammen aus der WCS Serie von Ritchey. Da ich mich mit dem kleineren M-Rahmen für ein sportlicheres Set-Up entschieden habe, fällt der C 220 Alu-Vorbau mit 110 Millimeter etwas länger aus. Der Butano Drop Bar Alu-Lenker ist 44 Millimeter breit. Für etwas mehr Flex und Dämpfung ist die Sattelstütze aus Carbon. Auf Empfehlung von Freunden fahre ich jetzt erstmalig einen Sattel von SQLAB (612 Active) und der ist wirklich der Hammer. Ich bin so angetan davon, dass ich direkt mein Mountainbike auf SQLAB umgerüstet habe.

Mein Gravel Bike Fazit

Seitdem ich mein Gravel Bike habe, bin ich genau noch einmal auf dem Rennrad gesessen. Jeden Tag, an dem ich auf meinem Schotterflitzer sitze, freue ich mich wie ein Schnitzel. Dabei ist es völlig egal, ob ich nur eine kleine Runde in der Mittagspause vor der Haustüre drehe oder die gut 100 Kilometer zu meiner Mutter ins Allgäu radl und unterwegs spontan entscheiden kann, wo genau ich diesmal langfahre, ohne darauf achten zu müssen, ob die Strecke geteert ist oder nicht. Diese Flexibilität und Spontanität in der Routenwahl ist gewaltig und macht meiner Meinung die Stärke von Gravel Bikes aus. Denn auf gröberen Schotterwegen oder Trails ist ein 29er Hardtail mit Flatbar und Federgabel vorne immer die komfortablere und bessere Wahl und das Rennrad bleibt die schnellere Art, um Strecke auf Teer zu machen. Das Gravel Bike jedoch ist die Universellste.

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Christian ist im Allgäu aufgewachsen und lebt mittlerweile mit seiner Familie am Staffelseee. Er liebt Campen und Kochen auf dem Einflammen-Outdoor-Herd. Wenn er nicht mit seinen zwei Jungs über Trails jagt, in den Monti Sibillini auf Trüffelsuche geht und Unternehmen in Sachen Brand Strategy berät, sitzt er entweder auf seinem Gravelbike, gleitet auf Pommesski über Skatingloipen oder zieht mit breiten Tourenski los. Bevorzugt vor der Haustüre, im Karwendel, in den Dolomiten und am Gardasee. Immer dabei eine gute Brotzeit und ein Wechselshirt.

Ralf Bernert

Ralf ist in den Bergen von Oberstdorf groß geworden, mit einem Board unter den Füßen und einer Kamera um den Hals. Seine Begeisterung fürs Surfen hat ihn um die ganze Welt geführt und immer wieder für längere Aufenthalte nach Kapstadt. Die Sehnsucht nach den Bergen und dem Powder hat ihn jedoch nach vielen Jahren in Hamburg zurück nach Bayern geführt, wo er nun mit seiner Familie samt Siebträgerkaffeemaschine am Staffelsee lebt. Seit dem tauscht er immer öfter den Sattel seines Nihola Lastenrads gegen den seines Enduro oder Gravel Bikes. Neben seiner Tätigkeit als Fotograf mit dem Fokus auf inszenierte Sport- und Fashion-Fotografie, arbeitet er mittlerweile auch für Adobe und entwickelt die mobile Version des Bildbearbeitungsprogramms Lightroom mit.

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