„So muss sich ein Olympiasieg anfühlen“

1.000 Tage. So lange ist es her, dass Chris Ebenbichler, passionierter Skifahrer und Trainer am Olympiazentrum Tirol, einen folgenschweren Unfall erlitt. 1.000 Tage, also fast drei Jahr später ist er erstmals wieder auf Skitour. So müssen sich meine SportlerInnen wohl bei einem großen Sieg fühlen“, beschreibt Chris seinen ganz persönlichen Erfolg.

Am 21. März 2021 verändert sich das Leben von Chris auf einer ganz normalen „Sonntagsskitour“, wie er sie nennt, jäh. Mit voller Geschwindigkeit kracht er bei der Abfahrt gegen einen Baum. Er bricht sich dabei nicht nur seinen linken Unterschenkel, sondern reißt sich jedes Band im Knie und erleidet massive Gewebeschäden. Auch in ihm selbst zerbricht in diesem Moment etwas. Der Mensch, der er einmal war, ist von nun an nicht mehr existent.

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Ungewissheit und die Frage nach dem „Warum“

Es folgen schwere Zeiten. Am Anfang lebt Chris mit der Ungewissheit, ob sein Unterschenkel amputiert werden muss. Schließlich kann er das Bein behalten, muss sich Gewebetransplantationen unterziehen. Doch Skifahren, so sind sich die Ärzte und Ärztinnen einig, wird er nicht mehr können. Es vergehen Wochen des Grübelns und Haderns. Chris quält die Frage nach dem „Warum“. Während auf Instagram alle weiterhin Bilder von Skitouren posten, liegt Chris im Krankenhaus – ausgebremst vom Schicksal.

Ein Physiotherapeut erzählt ihm bei einer seiner Behandlungen beiläufig von seinem Skitourentag. Ihm, der als Dreijähriger, statt in den Kindergarten zu gehen, lieber den ganzen Tag am Berg beim Skifahren verbrachte. Ihm, für den die Berge „einfach alles“ bedeuten. Ihm, der vielleicht nie wieder auf Ski stehen wird, obwohl es ihm doch alles bedeutet. Die Ruhe, die er dabei verspürt, findet er sonst nirgendwo. Diese Ruhe im Kopf – die fehlt. Gerade jetzt, wo er sie am meisten braucht. In diesem Moment im Krankenhaus ist er davon überzeugt, dass die Ärzte recht behalten und er nie wieder mit Ski auf einem Gipfel stehen wird. Stattdessen steht Chris an seinem ganz persönlichen Abgrund im Leben.

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Trotzdem gibt er nicht auf. Langsam beginnt er, seine Situation zu akzeptieren und seine Energie für die Rehabilitation einzusetzen. Immer weiter, Schritt für Schritt nach vorne, zunächst ins Ungewisse hinein. Mit den Fortschritten wächst auch die Zuversicht. All sein Wissen als diplomierter Sportwissenschaftler und die Erfahrung als Trainer helfen ihm in dieser Zeit. Er trainiert sich selbst – seinen Körper und vor allem seinen Geist.

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Die erste Skitour 1.000 Tage später

Und so steht Chris genau 1.000 Tage nach seinem Unfall wieder am Ausgangspunkt einer Skitour. Zusammen mit Skitouren-Kollege Fabio Keck und einem Filmteam. Zweifel kreuzen seine Gedanken: „Bin ich der Tour gewachsen? Was, wenn ich es nicht schaffe?“ Doch dann geht er los. Setzt einen Schritt vor den anderen. Nur nicht nach links und rechts schauen, nicht grübeln, sich nicht vom Weg abbringen lassen. Einfach Vertrauen haben.

Mit jedem Schritt, den sich Chris emporschraubt, sammelt er Zuversicht. Zuversicht, dass er dieser Tour gewachsen ist, dass es heute läuft und dass es ein toller Tag wird. Das Glitzern des Schnees, die klare Luft und endlich wieder diese Ruhe im Kopf. Das gibt Selbstvertrauen. 1.000 Tage nach seinem Unfall steht Chris dort, wo man ihm prophezeit hat, dass er niemals wieder stehen würde: am Gipfel eines Berges – erklommen auf Ski. „Surreal“ fühlt sich das an und „unpackbar“. Es ist sein ganz persönlicher Olympiasieg. Was zählt, sind nicht die Höhenmeter, die Schwere der Tour oder der Vergleich. Es zählt einzig und allein, hier zu stehen, es bis hierhin geschafft zu haben. Allen Behauptungen zum Trotz. Und das mit Menschen, die man gerne mag.  

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Heute hier am Gipfel ist Chris ein anderer Mensch. „Nicht mehr so ein arger Trottel wie vorher“, meint er nachdenklich. Er ist jetzt einer, der Abgründe kennengelernt und sich aus diesen herausgekämpft hat – konsequent und mit dem festen Glauben daran, dass es gut wird. Denn mit einer festen Überzeugung und dem nötigen Aktionismus lässt sich jede Krise im Leben meistern, davon ist Chris überzeugt. Nur nicht stehen bleiben. Nur nie umdrehen. Auch wenn es schwierig wird.

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„Ja, fahr ma!“

So wie auch heute – denn der schwierigste Teil der Tour steht noch bevor: die Abfahrt. Der Teil, bei dem vor so vielen Tagen der Unfall geschah. Der Teil, welcher sein Leben schlagartig veränderte.

Chris schultert seinen Rucksack und macht sich bereit.

„Ready, Dropping in 3, 2, 1…“

Ein kurzer Moment des Zauderns.

„Hallo, fahr ma?“, fragt Fabio.

„Ja, fahr ma“, sagt Chris – und fährt los.

Hinein in den weißen Powder. Und hinaus aus den schwarzen Gedanken an den Unfall und dem „Was wäre, wenn?“. Und dann, auf einmal, ist alles, wie es immer war. „Die Abfahrt hat sich ziemlich gut angefühlt“, erinnert sich Chris später. „Und der Moment, in dem ich unten war, der ist nicht in Worte zu fassen.“

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Nicht in Worte zu fassen – das ist eigentlich die ganze Geschichte von Chris Ebenbichler. Der Weg, den er in 1.000 Tagen zurückgelegt hat. Das Auf und Ab aus Erfolgserlebnissen und Niederschlägen. Das sich immer wieder aufrappeln, nicht aufgeben und sich jeden Tag aufs Neue motivieren. Das, was möglich ist, wenn man nur fest daran glaubt und alles dafür gibt.

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Originaltext @Regina Mayer

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Max ist in der Nähe von München aufgewachsen und entdeckte als Kind die Spielwiese Alpen. Skibergsteigen, Klettern, Bouldern, Wandern, Trailrunning, Mountainbiken – hauptsache hoch hinaus und schnell wieder bergab! Aus der Freizeitbeschäftigung wurde eine echte Leidenschaft und er verlegte seine Homebase an den Wilden Kaiser nach Tirol. Mit dem Wort „Job“ tut sich Max schwer – viel lieber spricht er von Berufung. Schon direkt nach dem Abi wählt er den Weg in die selbstständige Fotografie. Als professioneller Bergsport-, Lifestyle-und Reisefotograf bevorzugt er alpines Gelände, wo seine beiden Leidenschaften nahezu verschmelzen.

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